Der Anarchist in seiner reinen Form ist derjenige, dessen Erinnerung am weitesten zurückreicht: in vorgeschichtliche, ja vormythische Zeiten, und der glaubt, dass der Mensch damals seine eigentliche Bestimmung erfüllt habe. Diese Möglichkeit sieht er noch heute in der menschlichen Anlage und zieht seine Schlüsse daraus.  

In diesem Sinne ist der Anarchist der Urkonservative, der Radikale, der Heil und Unheil der Gesellschaft an der Wurzel sucht. Vom Konservativen unterscheidet er sich dadurch, dass sein Streben sich an den rein humanen Zustand heftet, nicht aber an eine räumlich oder zeitlich aus ihm entwickelte Schicht. Der Konservative hat Tradition; er “steht” in ihr, daher wird seine Rolle in einer Zeit, in der alles in Bewegung ist, fragwürdig. Der Konservative steht in einem ausgeformten Zustand und sucht sich zu halten, daher verträgt er sich in der Regel gut mit dem Staate, vor allem, wenn patriarchale Elemente in ihm erhalten sind. Der Konservative will die Organisation in einem gewissen Stand bewahren, aufhalten. Das hängt weniger vom erreichten Stand als vom Charakter ab, auch von der inneren Ruhe und Sättigung. Während der revolutionäre Geist die Ereignisse vortreibt, schreitet der konservative langsam hinter ihnen her; aber er holt sie immer wieder ein. Schafft er es nicht in einer Generation, so erreicht er es in den Enkeln; die Einrichtung der stürmischen Großväter wird ehrwürdig. 

Quelle: Der Weltstaat 

Ein Gedanke zu „Der Anarchist ist der Urkonservative (Ernst Jünger)“
  1. Noch im Lesen des o.a. Textes sehe ich Juenger vor meinem inneren Auge – wird er doch selbst treffend beschrieben. Schon lezte Woche kam er mir mit seiner botanischen Beobachtungsgabe in Erinnerung, als ich rein zufällig erstmals die Orchidee "Fliegen-Ragwurz" direkt neben einem Frauenschuh fand; unwillkürlich fragte ich mich, wie Juenger das Zusammentreffen zweier seltener Pflanzen an einem Ort (hier die Isarauen) gedeutet hätte.

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