Von Ralf Keuper

Wenn von Echokammern die Rede ist, dann häufig im Zusammenhang mit dem Internet und den sog. Fake News. Dabei wird der Eindruck erweckt, als handele es sich um ein neues Phänomen, von dem die sog. Eliten nicht oder nur in sehr geringem Umfang betroffen sind.

Ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt indes, dass jedes Paradigma in gewisser Hinsicht eine Echokammer ist. Wie u.a. Ludwik Fleck und Thomas S. Kuhn gezeigt haben, sind sog. Denkkollektive bzw. Denkschulen in den Wissenschaften nicht selten relativ unempfänglich für Kritik und Beobachtungen, welche die eigene Theorie ins Wanken bringen können. Karl Popper sprach in dem Zusammenhang von “Immunisierungsstrategien”. Auch die Technikkritik ist davon keine Ausnahme. Ein gutes Beispiel ist das Buch Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno.

Der ökonomische Apparat stattet schon selbsttätig, vor der totalen Planung, die Waren mit den Werten aus, die über das Verhalten der Menschen entscheiden. Seit mit dem Ende des freien Tausches die Waren ihre ökonomischen Qualitäten eingebüßten bis auf den Fetischcharakter, bereitet dieser wie eine Starre über das Leben der Gesellschaft in all seinen Aspekten sich aus. Durch die ungezählten Agenturen der Massenproduktion und ihrer Kultur werden die genormten Verhaltensweisen dem Einzelnen als die allein natürlichen, anständigen, vernünftigen aufgeprägt. Er bestimmt sich nur noch als Sache, als statistisches Element, als success or failure. Sein Maßstab ist die Selbsterhaltung, die gelungene oder misslungene Angleichung an die Objektivität seiner Funktion und die Muster, die ihr gesetzt sind.

Die Gedanken von Horkheimer und Adorno dienen bis die heute als Vorlage zahlreicher Beiträge aus dem Umfeld der Technikkritik. An die Stelle der Massenproduktion mit ihren aufgeprägten Werten sind Facebook, Amazon und Google getreten, die auf uns einen Bewertungszwang ausüben und damit dem Nutzer vorgaukeln, seine Stimme hätte Gewicht und würde etwas zum Besseren verändern. Diese Annahme ist insofern richtig, als die Rückmeldungen der Nutzer dazu verwendet werden, die Angebote weiter zu verbessern, die Effizienz zu erhöhen und Arbeitskräfte einzusparen und damit die Kosten weiter zu senken. Die aktive Teilhabe an der Bewertung schadet letztlich dem Nutzer, der häufig selber Arbeitnehmer ist, selbst. Irgendwann ist auch sein Job an der Reihe. Im Grunde gibt es aus diesem Kreislauf kein Entrinnen. Bestenfalls kann der Einzelne über seine eigene Ohnmacht und deren Gründe reflektieren und hin und wieder eine Auszeit nehmen. Echte Wahlmöglichkeiten haben sie oder er nicht. Das System ist nach außen hin tolerant, es hat sogar seine eigenen Widersprüche internalisiert – Herbert Marcuse nannte das einmal – wenngleich in einem anderen historischen Kontext – “Repressive Toleranz”. Gelegentlich müssen die Nutzer bzw. Bürger auch mal angestupst werden (Nudging).

Irgendwie sind wir in der Technikkritik bislang nicht über die Annahmen und Aussagen der Kritischen Theorie hinaus gelangt. Auf Basis der Annahmen, bestimmter Begriffe werden die entsprechenden Beobachtungen gemacht aus denen dann die Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Die Argumentation wird damit zirkulär – selbst erfüllend. Eine Echokammer. Ein Phänomen, das Raymond Klibansky bei den Nachfolgern von Max Weber und Ferdinand Tönnies beobachtete:

Ich stellte fest, dass die nachfolgende Generation in der Soziologie ein Mittel sah, die Geschichte im Lichte bestimmter Begriffe zu bemeistern. Wenn man die Terminologie kannte, wenn man einen bestimmten Begriff benennen konnte, der die Phänomene zu erfassen schien, glaubte man schon, sie zu begreifen. Man ging nicht vom historischen Individuum oder von Fakten, sondern von Begriffen aus. Man subsumierte Ereignisse und Realitäten unter Begriffe, anstatt beim tiefen Wissen um die Einzigartigkeit der Geschichte und der Zeiterfahrung anzusetzen.

Wer in seiner Kritik noch fundamentaler als Horkheimer/Adorno ist, der greift gerne auf Heidegger und/oder die Brüder Jünger zurück.

Friedrich Georg Jünger thematisiert in seinem Buch Die Perfektion der Technik den Gegensatz zwischen ökonomischen und technischen Denken. Aus dem Konflikt zwischen Technik und Ökonomie gehen die Technik als eindeutiger Sieger hervor:

Nicht Wirtschaftsgesetze sind es, denen die Technik dient; es ist ein wachsender Grad von Technizität, dem die Wirtschaft unterworfen wird. Wir steuern auf einen Zustand zu – und wir haben ihn schon hier und da erreicht -, wo die Technizität des Arbeitsvorgangs wichtiger ist als der Gewinn, den er abwirft. Das heisst, er muss auch dann durchgeführt werden, wenn er mit Verlusten betrieben wird. Dieses Kennzeichen einer wirtschaftlichen Notlage ist zugleich das Merkmal wachsender technischer Perfektion. Die Technik, als Ganzes genommen, besitzt keine Rentabilität und kann sie nicht besitzen. Sie entfaltet sich auf Kosten der Wirtschaft, sie verschärft die wirtschaftliche Notlage, sie führt zu einer Verlustwirtschaft, die um so augenfälliger wird, je erfolgreicher das Streben nach technischer Perfektion voran geht.

Die Technik führt demnach ein Eigenleben. Sie steht nicht nur dem Menschen, sondern auch der Ökonomie als das Andere gegenüber. Sinnbezüge sind ihr fremd. Sie zielt auf das Ganze, ihr Anspruch ist totalitär. Daraus folgt, dass nur holistische Denkansätze in der Lage sind, dieses Phänomen zu beschreiben, zu deuten, dialektisch aufzufassen. Hegel lässt grüßen.

Technik ist eingebettet in soziale Handlungssysteme und Institutionen. Sie fiel nicht vom Himmel. Aufgabe der Technikkritik ist es zu fragen, welche unbewussten Zwänge und Automatismen hier am Werke sind und wie sie sich auf politischem Weg beeinflussen lassen – und vor allem auch: Welchen Interessen sie dienen. Beispielhaft dafür ist die digitale Währung Bitcoin, die von ihren Anhängern als Verkörperung des Freigeld-Gedankens von F.A. von Hayek gilt. Wie die sog. Forks zeigen, ist auch die Bitcoin-Community nicht von Interessenkonflikten – und ideologischen Differenzen frei (Vgl. dazu: Glaubenskrieg in der Bitcoin-Community). Technik ist nicht neutral.

Beim Internet handelt es sich um ein wirkungsmächtiges Medium. Medien sind ebenfalls nicht neutral. Für Ernst Kapp und Marshall McLuhan sind sie Erweiterungen menschlicher Organe bzw. des Zentralen Nervensystems (Vgl. dazu: Ernst Kapp – Mit-Begründer der modernen Medientheorie). Medien verändern selbst die Art und Weise, ob und wie Ereignisse wahrgenommen und interpretiert werden:

Denn Bild-, wie Textmedien strukturieren die menschliche Wahrnehmung und Erfahrung der Wirklichkeit, wie unter anderen Michael Baxandall aus kunsthistorischer und Marshall McLuhan aus medienwissenschaftlicher Sicht deutlich gemacht haben. Sie präjudizieren damit auch menschliche Handlungen. .. Medien bilden Ereignisse und Prozesse nicht nur ab, vielmehr prägen sie diese auch, was von F. Crivelari, K. Kirchmann, M. Sandl und R. Schlögl als “Medialität des Historischen” bezeichnet wurde. .. In diesem Sinne wurden Medien nicht nur zum Archiv der Geschichte, sondern waren auch schon Bestandteil des Geschehens (Andreas Würgler: Medien in der frühen Neuzeit).

Digitale Medien sind inzwischen dabei, den sensomotorischen Kortex der für die Regulation der Daumenbewegung ist, bei der heranwachsenden Generation zu verändern (Vgl. dazu: Wie digitale Medien unser Gehirn verändern). Die Erforschung der Frage, wie stark die Nutzung sozialer Medien das Gehirn beeinflusst (Sucht), steht, wie die Neurowissenschaftlerin Franca Parianen in einem Interview äußert, jedoch erst am Anfang. Wir wissen hier noch ausgesprochen wenig. Es lassen sich lediglich Korrelationen feststellen, keine Kausalbeziehungen. Anders liege der Fall bei der Frage der sozialen Manipulation, wie bei facebook.

Für den Verhaltensforscher Konrad Lorenz stehen der Weltbildapparat und die Dinge in einer Wechselbeziehung.

Wenn man das eine Mal den Blick auf unseren Weltbildapparat richtet und das andere Mal auf die Dinge, die er schlecht und recht abbildet, und wenn man beide Male, trotz der Verschiedenheit der Blickrichtung, Ergebnisse erzielt, die >Licht aufeinander werfen<, so ist dies eine Tatsache, die nur aufgrund Annahme des hypothetischen Realismus erklärt werden kann, der Annahme nämlich, dass alle Erkenntnis auf Wechselwirkung zwischen dem erkennenden Subjekt und dem erkannten Objekt beruht, die beide gleichermaßen wirklich sind. Wann immer eine kleine Zunahme des Wissens über unseren Weltbildapparat eine neue kleine Korrektur des Bildes erheischt, das er von der außersubjektiven Realität entwirft, und wann immer umgekehrt ein kleiner Fortschritt unseres Wissens um das an sich Seiende uns in den Stand setzt, eine neue Kritik an unserem >perceiving apparatus< zu üben, wächst unsere Berechtigung, unsere Erkenntnistheorie für richtig zu halten, deren Natürlichkeit nicht mit Naivität verwechselt werden darf… (Quelle: Die Rückseite des Spiegels).

Unsere Erkenntnisorgane und das Internet, wie überhaupt Medien, werfen demnach Licht aufeinander, ohne jemals deckungsgleich zu sein oder sich direkt zu beeinflussen. Die Frage ist, welchen Beitrag hat das Internet an der Verbesserung oder Verschlechterung unseres Weltbildapparates.

Nach Ansicht von Bruce Mazlish bilden wir Menschen und die von uns geschaffenen Maschinen inzwischen ein Kontinuum.

Die Kontinuität, von der ich spreche, entsteht mit der Anerkennung der biologisch-kulturellen Evolution der Menschheit, die uns zu dem Bewusstsein zwingt, dass Werkzeuge und Maschinen von unserem, nach Entwicklung drängenden Wesen nicht zu trennen sind. (Faustkeil und Elektronenrechner. Die Annäherung von Mensch und Maschine)

Anderseits lesen wir, dass wir mittlerweile das Zeitalter des Anthropozäns erreicht haben – das Menschenzeitalter ist angebrochen (Das Zeitalter des Anthropozän bricht an).

Kann die Macht der großen Internetkonzerne mit dem Kartellrecht gebrochen werden, ist es nötig, die großen digitalen Plattformen zu verstaatlichen? (Vgl. dazu: Wir müssen über Verstaatlichung nachdenken”). Könnte uns das Web 3.0 ein Stück weit aus der Abhängigkeit von Google, facebook & Co. befreien? Wäre das Internet of Me ein Ausweg? (Vgl. dazu: Internet of Me – The web itself is the only platform we need). Werden wir demnächst für die Bereitstellung, Generierung und Überlassung unserer Daten bezahlt? (Vgl. dazu: Should We Treat Data as Labor? Moving Beyond ‘Free’). Brauchen wir einen New Deal on Data?

Das alles zeigt, dass die Lage nicht so ausweglos ist, wie von der Technikkritik häufig dargestellt. Sicherlich ist es Aufgabe der Technikkritik auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen und diese theoretisch zu reflektieren. Wünschenswert ist es gewiss auch, Widerspruch herauszufordern. Besser wäre es jedoch, wenn mit der Diagnose auch einige Lösungsvorschläge unterbreitet würden und die eigene schützende Echokammer durchbrochen wird.

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