Mittlerweile lassen Äußerungen und öffentliche Auftritte des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und führender Sozialdemokraten kaum noch einen anderen Schluss zu, als dass die Partei gewillt ist, die kommende Bundestagswahl mit allen Mitteln zu verlieren.

Da fehlt es auch nicht mehr an treffenden Analysen, wie von Albrecht von Lucke und Wolfgang Münchau.

von Lucke verlegt den Beginn der Misere in das Jahr 1998, als das Tandem Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine die zu dem Zeitpunkt verbrauchte Regierung Kohl nach 16jähriger Amtszeit quasi aus dem Kanzleramt fegte. Die Erwartungen an die neue rot-grüne Regierung waren hoch. So verfasste der Soziologe und zu dem Zeitpunkt jedenfalls noch, Berater und Freund Gerhard Schröders, Oskar Negt, einige Monate vor der Wahl ein Buch mit dem Titel Warum SPD? 7 Argumente für einen nachhaltigen Macht- und Politikwechsel. Darin räumte Negt zwar ein, dass auch unter einer rot-grünen Regierung nicht zwangsläufig alles besser laufen muss, jedoch schienen nicht nur aus seiner Sicht die Argumente den Ausschlag für einen nachhaltigen Politikwechsel zu geben:

Ich sage nicht, dass es einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung notwendig gelingen wird, auf die in sechzehn Jahren Helmut Kohl beharrlich akkumulierten gesellschaftlichen Probleme mit praktikablen Lösungen zu reagieren. Ich behaupte lediglich, dass es ein Vielzahl erwägenswerter Argumente gibt, warum aus den geschichtlichen Erfahrungen der SPD und dem Willen ihrer gegenwärtig führenden Persönlichkeiten eine Erweiterung des Politikverständnisses zu erwarten ist, die die unabdingbare Grundlage für die Eröffnung einer neuen Reformära darstellt.

Selten nur ist eine Aussage so schnell und nachhaltig von der Realpolitik widerlegt worden. Nicht ganz zu Unrecht gilt Oskar Negt seitdem für einige als tragische Figur. Kaum war die rot-grüne Koalitionsvereinbarung fertig, da erschien auch schon das Buch Aufbruch. Die Politik der Neuen Mitte von Bodo Hombach, das so gar nicht zu den 7 Argumenten Oskar Negts passen wollte.

In den folgenden Jahren waren die Parteistrategen eifrig bemüht, die SPD organisatorisch den neuen Realitäten, wie dem Internet, anzupassen. Im Jahr 2001 erschien mit dem Buch Der rasende Tanker. Analysen und Konzepte zur Modernisierung der sozialdemokratischen Organisation, herausgegeben von Matthias Machnig und Hans-Peter Bartels so etwas wie ein Zwischenbericht.

Als roter Faden durchzog das Buch die Frage, wie klassische Mitgliedsparteien auf die Herausforderungen des Internets wie überhaupt des digitalen Wandels in der Gesellschaft reagieren sollten. Die unterschiedlichen Positionen repräsentierten die Beiträge von Matthias Machnig und Peter Glotz.

Unter der Überschrift Vom Tanker zur Flotte entwarf Matthias Machnig folgendes Zielbild:

Vom Tanker zur Flotte, von der zuweilen behäbigen Großorganisation zu einer modernen organisierten Partei, die mit einem dicken Geflecht von Netzwerken die klassischen Organisationsstrukturen ergänzt: Das muss das Ziel der SPD sein. Die klassische Parteiorganisation braucht diese Ergänzung um Netzwerke und Unterstützergruppen, wenn sie unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch weiterhin eine Partei sein will, die über eine große Mitgliedschaft verfügen, in der Gesellschaft verankert, die Kompetenzen von Nichtmitgliedern einbinden und erfolgreich Interessen-und nicht zuletzt Wählerkoalitionen organisieren will.

Da spricht zwischen den Zeilen der Zeitgeist, wie er durch die New Economy beflügelt wurde. Für viele war Politik eigentlich nur noch eine Frage der Kommunikation. Nicht die Inhalte waren falsch, sondern die Botschaft hatte die Wählerinnen und Wähler nicht erreicht bzw. war von diesen wegen intellektueller Gebrechen nicht richtig entschlüsselt worden. Heribert Prantl beispielweise fabulierte in seinen Kommentaren im Herbst 1998 u.a. vom großen Kommunikator Gerhard Schröder wie auch vom Zauber des Anfangs.

Der Zauber verflog für einige doch recht schnell.

Eher nachdenklich äußerte sich Peter Glotz in seinem Beitrag Callcenter gibt es genug zu den markigen Ankündigungen, die Parteizentrale in ein Dienstleistungs- und Kompetenzcenter zu verwandeln, deren Aufgabe vornehmlich darin besteht, die frohe Botschaft richtig zu vermitteln.

Die Partei muss auch ihre eigene Aura wahren; sie muss über die Maßregeln der jeweiligen Regierung hinausgehen. … Eine Parteizentrale auf diese Auseinandersetzung vorzubereiten, verlangt die gelassene Toleranz, die Willy Brandt vorgelebt hat – und gelegentlich auch die kompromisslose Parteilichkeit der (inzwischen archaisch wirkenden) Wehner-Schule. Die Abrüstung der Parteizentrale zu einem >Dienstleistungszentrum< wäre genau der falsche Weg. Callcenter gibt es genug. Sie verhelfen aber nicht zu kultureller Hegemonie.

Man hat nicht den Eindruck, dass die mahnenden Worte von Peter Glotz bis heute bei den Parteistrategen Gehör gefunden haben. …

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