Von Ralf Keuper
In seinem Vortrag stellt Markus Gabriel den Neo-Existenzialismus vor, mit dessen Hilfe er sowohl den Naturalismus wie auch den Anti-Naturalismus überwinden will. Als Beispiel, als Test für seine Behauptungen wählt Gabriel dabei die Geist-Gehirn-Debatte. 

Für Gabriel beruht der Naturalismus auf der Annahme, dass nur dasjenige wirklich existiert, was unsere am besten etablierten Naturwissenschaften behaupten, dass es existiere. Die Wirklichkeit ist fundamental so beschaffen, wie die Naturwissenschaften es lehren. So gesehen erzeugt das Gehirn den Geist. Ohne Gehirn, kein Geist.  
Die Philosophie des Geistes versucht der Vereinnahmung durch der Naturwissenschaften laut Gabriel mit zwei Strategien, die er als Anti-naturalistisch bezeichnet, zu entgehen. Dabei handelt es sich um die phänomenologische und die semantische Strategie. Beide, so Gabriel, verfehlen ihr Ziel. 
Die phänomenologische Strategie unterstellt, dass unser Subjekt in einem relevanten Sinn unhinterfragbar ist. Wir befinden uns zu keinem Zeitpunkt in einem kosmischen Exil. Wir sind immer “dabei” bzw. hier. 
Die semantische Strategie bzw. Diagnose unterscheidet zwischen dichten und dünnen Begriffen. Ein Begriff ist dünn, wenn wir für diesen Begriff ein Wort haben, das etwas bezeichnet, auch unabhängig davon, ob wir genau verstehen, was dieses Wort bezeichnet. Ein Beispiel ist Wasser mit seinen verschiedenen Aggregatzuständen. Wasser ist H2o. Obwohl Platon und Aristoteles H2o unbekannt war, konnten sie dennoch vernünftig über Wasser reden. Naturwissenschaftliche Erklärungen kommen häufig in Form von Aussagen wie “Wer hätte je gedacht, dass Wasser aus H2o besteht!” daher. Insofern ist die Versuchung groß, das Feuern von Neuronen als den eigentlichen Gehirnzustand zu interpretieren, der wiederum das Bewusstsein erzeugt. 
Dichte Begriffe sind diejenigen, die man nicht ersetzen kann, durch etwas, das uns überrascht. Für das Bewusstsein funktionieren keine dünnen Begriffe. Wir können nicht lernen, dass eine Schmerzempfindung eine Farbempfindung und auch kein Feuern von Neuronen ist. Meine Schmerzzustände sind nicht deine Schmerzzustände. Mentale Zustände lassen sich nicht mit dünnen Begriffen beschreiben.
Was ist falsch an den Strategien?
Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass der Naturalismus dichte Begriffe nicht verstehen kann. Er kann nicht verstehen,  dass mentale Vorgänge/Bewusstseinszustände nicht mit dem Gehirn identisch sind.
Trotzdem bleibt die Frage: Wie passen die Phänomene in die Wirklichkeit? Wie kann in einer einzigen Wirklichkeit ein Baum und eine Perspektive auf den Baum vorkommen? Wie kann eine Wirklichkeit Galaxien und Bauchschmerzen, Kunstwerke, Big Bang, Zahlen etc. enthalten? Wie passen die Dinge zusammen? Und letztlich: Wie passt das Bewusstsein in die Wirklichkeit?
Problem: Man kann nicht das Ganze und zugleich sich selbst beobachten. Es gibt kein Ganzes, da es nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann.
Hier setzt nun der Neo-Existenzialismus an. 
Die Hauptaussagen des Existenzialismus lautet: Wie ich mich zu mir selbst verhalte, bestimmt mit wer oder was ich bin.  
Der Neo-Existenzialismus fügt dem hinzu: Wenn ich mich über einen natürlichen Gegenstand täusche, ändert das nichts an diesem Gegenstand. Eine Buche ändert sich nicht dadurch, dass wir sie für eine Eiche halten. Wir täuschen uns über uns selbst, wenn wir falsche Ideen unserer selbst haben. Wenn jemand z.B. glaubt, er sei ein guter Tango-Tänzer, verändert er sich dadurch, indem er eine falsche Überzeugung von sich selbst hat. Wir verändern uns im Lichter der Bilder, die wir von uns selbst haben. Die Natur aber verändert sich nicht im Lichte unserer Bilder über die Natur. Die Semantiker verwechseln das durch die Verwendung von dichten und dünnen Begriffen. 
Geistige Zustände haben die logische Form einer Tätigkeit (Aristoteles).  Eine Tätigkeit verhält sich zu ihrer materiellen Realisierung so ähnlich wie Fahrradfahren zum Fahrrad.
Geist besteht wesentlich in einem Verhältnis zu sich selbst. Fahrräder verhalten sich nicht zu sich selbst. Das Gehirn hat die Verfassung eines natürlichen Gegenstands. Das Gehirn ist eine notwendige Bedingung für das Vorliegen des Geistes.  Das bedeutet jedoch nicht, dass das Gehirn den Geist hervorbringt. 

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