Von Ralf Keuper

In letzter Zeit stößt man im Netz häufiger auf die Bemerkung, dass Russlands “Grand Strategy” im Ukraine-Konflikt aufzugehen scheint. Eng mit diesem Konzept verwandt ist die Indirekte Strategie bzw. der Indirekte Ansatz, der vor allem durch den britischen Militärhistoriker Basil Liddell Hart bekannt wurde.

Der Militärschriftsteller Ferdinand Otto Miksche griff in seinem Buch Moskaus indirekte Strategie. Erfolge und Niederlage, das 1983 erschien, die Gedanken Liddell Harts auf. Die Idee zur Landung der Alliierten in der Normandie stammt übrigens, neben den Amerikanern, von Miksche, der zu der Zeit im Stab de Gaulles für die Invasionspläne zuständig war.

In den Jahren danach wurde Miksche zwar nicht zu einem “Falken”, wohl aber zu einem entschiedenen Kritiker der Außen- und Geopolitik der damaligen Sowjetunion. Die Position des Westens der Sowjetunion gegenüber, hielt Miksche für zu weich. Westliche Regierungen seien anfällig für die taktischen Manöver der russischen Führung. Immer wieder würden sie den Russen und deren Verschleierungstaktik auf den Leim gehen:

Das Rezept dieser im Rahmen der indirekten Strategie geführten “Salamitaktik” ist nicht neu. Die Russen sind bekanntlich die besten Schachspieler, die sowohl im Denken als auch im Handeln den Westmächten weit voraus sind. Mit zäher Beharrlichkeit und Bauernschläue betreiben sie seit Jahrzehnten dasselbe Spiel, das auf den Kundigen bereits ermüdend wirkt. Ihre Manöver, Vorschläge zur Schaffung von neutralen oder atomfreien Zonen, um nur einige zu nennen, wiederholen sich regelmäßig, wenn auch das ideologische Dekorum stets mit neuen Farben auflackiert wird.

Erstaunlich ist, wie leicht der Westen immer wieder auf die gleichen Tricks der Sowjets hereinfällt. Meisterhaft versteht es sowjetische Diplomatie, die innenpolitischen Zwangslagen demokratischer Regierungen, besonders bei bevorstehenden Wahlen auszunutzen.

Miksche zitiert im weiteren Verlauf Karl Marx, der in der New York Dailiy Tribune den Beitrag The Eastern Question verfasste. Darin schrieb Marx:

Indem Russland auf die Feigheit und Furcht der europäischen Höfe .. zählt, spielt es den Haudegen und überspannt seine Forderungen so weit wie möglich, um sich später großmütig mit den nächstliegenden Zielen zufrieden zu geben

Worte, die auch im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise häufiger fallen.

Als weiteren Beleg für seine These zitiert Miksche aus dem Nachruf auf Leonid Breschnew in der Prawda aus dem Jahr 1975. Ganz im Sinne Lenins verfolgte auch Breschnew unter dem Deckmantel des “antimperialistischen Kampfes” eine Expansionspolitik:

Bereit zu sein, Lagen zu jeder Zeit und in jeder Form des Kampfes, ob friedlich oder nicht friedlich, ob legal oder illegal, auszunutzen. Der Sieg der Arbeiterklasse wird davon abhängen, inwieweit sie und ihre kommunistische Partei alle Kampfformen beherrschen und ob sie Lageänderungen gemäß zu blitzschnellem Umstellen der Taktik bereit und fähig sind.

Glücklicherweise sind viele Szenarien, die Miksche für die Jahre nach 1983 für sehr wahrscheinlich hielt, nicht eingetreten. Die Sowjetunion brach auseinander. Ihre geopolitischen Ambitionen kann Russland – so jedenfalls – nicht weiter führen.

Was von den Überlegungen Miksches ist auch heute gültig? Handelt die heutige russische Führung nach den Methoden der Indirekten Strategie im Sinne Miksches? Machen wir es uns damit nicht zu einfach? Oder handelt es sich schlicht um das gängige Vorgehen auf der weltpolitischen Bühne, das nicht nur die Russen beherrschen?

Wer auf der Suche nach Antworten ist, sollte m.E. regelmäßig bei Frank Lübberding und seinem Blog Wiesaussieht vorbeischauen und sich z.B. den Beitrag Wie man den Krieg verhindert durchlesen. Lübberding ist für mich einer der profundesten Kenner auf dem Gebiet der Außen- und Geopolitik.

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