So wie die Hauptaufgabe des naturbearbeitenden Ingenieurs darin besteht, dass er Maschinen konstruiert, umbaut und in Gang hält, so ist es die Aufgabe des Sozialingenieurs, der die Stückwerk-Technik beherrscht, soziale Institutionen zu entwerfen, umzugestalten und die schon bestehenden in Funktion zu erhalten. Der Terminus “soziale Institution” wird hier in sehr weitem Sinne verwendet und schließt Körperschaften privaten und öffentlichen Charakters ein. Ich werde als “soziale Institution” ein Geschäftsunternehmen bezeichnen, gleichgültig, ob es sich um einen kleinen Laden oder eine Versicherungsgruppe handelt, ebenso eine Schule, ein Schulsystem, eine Polizeitruppe, eine Kirche, einen Gerichtshof. Der Spezialist der Stückwerk-Technologie und Stückwerk-Technik weiss, dass nur eine Minderheit sozialer Institutionen bewusst geplant wird, während die große Mehrzahl als ungeplantes Ergebnis menschlichen Handelns einfach “gewachsen” ist. …

Der typische Stückwerk-Ingenieur wird folgendermaßen vorgehen. Er mag zwar einige Vorstellungen von der idealen Gesellschaft “als Ganzem” haben – sein Ideal wird vielleicht die allgemeine Wohlfahrt sein -, aber er ist nicht dafür, dass die Gesellschaft als Ganzes neu geplant wird. Was immer seine Ziele sein mögen, er sucht sie schrittweise durch kleine Eingriffe zu erreichen, die sich dauernd verbessern lassen. .. Wie Sokrates weiss der Stückwerk-Ingenieur, wie wenig er weiss. Er weiss, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen können. Daher wird er Schritt für Schritt vorgehen und die erwarteten Resultate stets sorgfältig mit den tatsächlichen vergleichen, immer auf der Hut vor den bei jeder Reform unweigerlich auftretenden unerwünschten Nebenwirkungen. Er wird sich auch davor hüten, Reformen von solcher Komplexität und Tragweite zu unternehmen, dass es ihm unmöglich wird, Ursache und Wirkung zu entwirren und zu wissen, was er eigentlich tut. ..

Im Gegensatz zur Stückwerk-Sozialtechnik hat die holistische oder utopische Sozialtechnik nie “privaten”, sondern immer “öffentlichen” Charakter. Sie will “die Gesellschaft als Ganzes” nach einem festgelegten Gesamtplan ummodeln, will “die Schlüsselpositionen in die Hand bekommen” und die Macht des Staates erweitern, bis “der Staat mit der Gesellschaft fast identisch wird”, und sie will ferner von den “Schlüsselpositionen” aus die gesellschaftlichen Kräfte lenken, welche die Zukunft der sich entwickelnden Gesellschaft gestalten, indem sie entweder diese Entwicklung aufhält oder ihren Verlauf voraussieht und ihm die Gesellschaft anpasst. …

Einer der Unterschiede zwischen der utopischen oder holistischen Haltung und der Stückwerk-Technik lässt sich so formulieren: Während der Stückwerk-Ingenieur sein Problem angehen kann, ohne sich bezüglich der Reichweite seiner Reform festzulegen, kann der Holist dies nicht tun, denn er hat von vornherein entschieden, dass eine vollständige Umformung der Gesellschaft möglich und notwendig ist.

Quelle: Karl Popper Lesebuch