Von Ralf Keuper

Über den wissenschaftlichen Gehalt der Ökonomie wird in letzter Zeit vermehrt diskutiert. Seit der Finanzkrise steht die Zunft der Ökonomen unter strenger Beobachtung. Lisa Nienhaus sah sich veranlasst, das Versagen der Ökonomen in dem Buch Die Blindgänger. Warum die Ökonomen auch künftige Krisen nicht erkennen werden aufzuarbeiten.

Zweifel an der Aussagekraft ökonomischer Theorien wurden schon vor langer Zeit formuliert, wie von Adam Müller im Jahr 1816:

Nichtsdestoweniger ist in dem allwissenden Jahrhundert kein Gegenstand unerforschter und geheimnisvoller als das Geld und unter allen Fortschritten des Jahrhunderts keine Wissenschaft so stationär als die Nationalökonomie. (in: Geschichte der Ökonomie)

An dem Befund hat sich nicht viel geändert. Auch heute ist von vielen Seiten der Vorwurf zu hören, die Ökonomie betrachte die Wirtschaft als geschlossenes System und blende dabei die vielfältigen Beziehungen zur Außenwelt aus, die ebenfalls das wirtschaftliche Gleichgewicht beeinflussen. Überhaupt haben die Naturwissenschaften die Vorstellung eines natürlichen, statischen Gleichgewichts, wie sie von der Ökonomie noch heute in weiten Teilen propagiert wird, schon lange hinter sich gelassen.

Aus Sicht des Kritischen Rationalismus unterzog Hans Albert im Jahr 1963 die Ökonomie in seinem Beitrag Model Platonism: Neoclassical economic thought in critical light einer Überprüfung. Der deduktive Ansatz der Neoklassik, der weite Teile der Empirie ebenso vernachlässigt wie die Motivationen und das soziale Milieu der Handelnden, lässt sich nach Ansicht von Hans Albert kaum mit den Ansprüchen moderner Wissenschaften vereinbaren. Vorherrschender Zug ist, wie bei vielen deduktiven Ansätzen, die Immunisierung, d.h. die Umdeutung von oder Ignoranz gegenüber widersprechenden Beobachtungen.

Frei nach Hegel, dem Alt-Meister des deduktiven Denkens: Wenn die Fakten nicht zur Theorie passen – schlecht für die Fakten!

Weitere prominente Kritiker an der neoklassischen Schule der Ökonomie sind bzw. waren Herbert A. Simon, Armin Falk und der Physiker Lee Smolin.

Der Wissenschaftsphilosoph Ludwik Fleck brachte soziale Ursachen für die Blickverengung der Wissenschaften, nicht nur der Ökonomie, in die Diskussion. Demnach bilden sich mit der Zeit Denkkollektive,die einen bestimmten Denkstil pflegen und diesen auch dann noch aufrecht erhalten, wenn die Fakten schon längst eine andere Sprache sprechen. Übertragen auf die aktuelle Ökonomie setzt sich das Denkkollektiv der Anhänger der neoklassischen Schule aus Professoren, Politikern, Wirtschaftsjournalisten, Lobbyisten und einigen Bloggern zusammen.

Thomas S. Kuhn sah die Zeit für die Ablösung eines vorherrschenden Paradigmas erst dann gekommen, wenn die tonangebende Generation abtritt, womit er im Grunde eine biologische Erklärung gab.

Pierre Bourdieu argumentierte ähnlich wie zuvor Fleck, indem er ein “soziales Feld” als Ursache für die Beharrlichkeit bestimmter Positionen in Wissenschaft und Gesellschaft ausmachte, worauf der lesenswerte Beitrag Who made economics hinweist.

Wie immer man auch zur Ökonomie, ganz gleich welcher Richtung, stehen mag, so bleibt doch festzuhalten, dass Gemeinschaften ebenso wie Gesellschaften auf Erzählungen angewiesen sind. Früher waren es die alten Mythen, Sagen und die religiösen Überlieferungen, die für den nötigen Kitt sorgten, den jede Gesellschaft benötigt. Nachdem diese Erzählungen durch den rasanten Aufstieg der Wissenschaften an Überzeugungskraft verloren haben, sind andere Erzählungen an ihre Stelle getreten – wie die Ökonomie. Ökonomie quasi als Ersatz-Religion, was bei den vielen metaphysischen Anleihen (“Unsichtbare Hand”, “Homo Oeconomicus”, “Selbstheilungskräfte des Marktes”) nicht weiter verwundert. Keine wissenschaftliche Theorie, auch nicht aus dem Bereich der ansonsten allgegenwärtigen Naturwissenschaften, hat auch nur annähernd in den modernen Gesellschaften eine Bedeutung erlangt wie die Ökonomie. Ihr Erfolg weist darauf hin, dass sie einen Bedarf deckt, der von anderen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen nicht in dieser Weise befriedigt werden kann – wie z.B. von der Soziologie und Philosophie.

Die Entwicklung der Ökonomie ist demnach, allen theoretischen und sonstigen Defiziten zum Trotz, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie, um ihre Akzeptanz als Wissenschaft in der Gesellschaft nicht zu verlieren, anderen Richtungen gegenüber, wie es die Plurale Ökonomik fordert, aufgeschlossen sein sollte. Anderenfalls verstärkt sich der Eindruck, es mit einer Offenbahrungslehre zu tun zu haben.

Keine Frage: Den Höhepunkt menschlicher Denk- und Erkenntnisfähigkeit haben wir mit der Ökonomie wohl noch nicht erreicht. Verglichen mit den ideologischen Verirrungen der Vergangenheit schneidet die Ökonomie, frei von Ironie, insgesamt aber gar nicht so schlecht ab.

2 Gedanken zu „Über Modellplatonismus und andere Gebrechen der Ökonomie“
  1. Die Volkswirtschaftslehre war mit der Erstveröffentlichung von "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Silvio Gesell, 1916) abgeschlossen. Alles, was davon abweicht, ist Unsinn.

    Wem es "seltsam" erscheint, dass bisher nur ganz Wenige die im Grunde einfachen makroökonomischen Zusammenhänge verstehen, während Millionen vorgeblicher "Experten" nur Unsinn verbreiten und die restlichen Milliarden viel lieber den Unsinn glauben, muss sich zuerst bewusst machen, dass unsere "moderne Zivilisation" nicht aus der Vernunft entstand, sondern aus der Religion:

    Einführung in die Wahrheit

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