Von Ralf Keuper

In seinem Buch The Long Tail – Nischenprodukte statt Massenmarkt beschreibt Chris Anderson den epochalen Wandel, der sich im Zuge der Digitalisierung auf fast allen Märkten abspielt. Waren die Distributionskanäle bisher unter der Kontrolle einiger weniger Konzerne, findet durch das Internet eine Machtverschiebung statt. Kaum eine Branche bekommt diese Entwicklung so zu spüren wie die Medienindustrie. Getreu dem Motto von Don Tapscott: We are the media gehen viele Menschen dazu über, ihr eigenes Programm zu erstellen und zu teilen, sei es über Blogs oder twitter wie überhaupt über die sozialen Netzwerke.

Für Chris Anderson sind die Zeiten der Knappheit in der Informationsversorgung daher vorbei. Stattdessen herrscht Überfluss:

Die auf Hits basierende Wirtschaft .. ist das Produkt einer Zeit, in der einfach nicht genügend Platz zur Verfügung stand, um jedem alles zu bieten: nicht genügend Regalplatz für all die CD’s, DVDs und Videospiele, die produziert wurden, nicht genügend Leinwände, um alle vorhandenen Filme zu zeigen, nicht genügend Kanäle, um alle Fernsehprogramme zu senden; nicht genügend Funkfrequenzen, um sämtliche Musik zu spielen, die aufgenommen wurde; und bei Weitem nicht genügend Stunden am Tag, um alles in diese Zeitfenster zu pressen.

Das ist eine Welt der >Knappheit<. Heute beginnt für uns dank Internetvertrieb und -handel eine Welt des >Überflusses< – mit gravierenden Unterschieden.

Vor zwei Jahren beschrieb ein Artikel im Economist eine weitere Facette des Wandels innerhalb der Medienlandschaft. Darin stellt der Autor fest, dass die Medien sich mit Social Media wieder zurück an ihren Ursprung begeben, zu einer Zeit als Veröffentlichungen nur in bestimmten sozialen Gruppen, Zirkeln kursierten. Beispiele sind die Kaffeehäuser und die Verbreitung der damals ketzerischen Gedanken Martin Luthers in Kirchenkreisen. Hinzufügen lassen sich noch die Enzyklopädisten um Diderot und d´Alembert.

Die Wiederkehr des Sozialen in den Medien stellt die Massenmedien vor gravierende Herausforderungen bzw. Probleme.

Bereits einige Jahre vor dem Economist kam Edward D. Miller zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Die Zukunft der Printmedien erkannte er in einer Abwendung von dem Prinzip der Massenfertigung hin zu einer Beziehung zum Kunden, d.h. zum Leser, die von Kooperation geprägt ist:

Um wertvolle Errungenschaften für neue Aufgaben zu präparieren, müssen Informationen flexibel zusammengetragen und verwaltet werden.

Nur so ist es möglich, kreativ auf die Bedürfnisse der Leser zu reagieren. Der neue Umgang mit Informationen tritt an die Stelle der aktuellen, auf Produktion ausgerichteten Fließbandfertigung, die ein einfache Reaktion auf die Anforderungen des Massenkonsums darstellt. (Die Schockwirkung der kommunikativen Revolution, in: Organisation der Zukunft. Neue Orientierungen für Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft)

Entscheidend für den Erfolg der Printmedien ist die Rückbesinnung auf das “Kerngeschäft”, d.h. auf die Bedeutung der Informationen bzw. Nachrichten. Nur wer in der Lage ist, die Nachrichten in einen Kontext zu stellen und damit Orientierung zu bieten, hat in Zukunft in der Medienbranche noch eine Chance:

Als die Branche, die mit >Bedeutung< handelt, werden Zeitungsverlage auch in Zukunft Nachrichten in einen Kontext stellen und sie somit wertvoll für die Leser vor Ort machen. Als >Speichermedium< für Informationen werden sie umfangreiche Dienstleistungen im Bereich der Archivierung und Recherche anbieten und es dem Leser ermöglichen, entweder nur die täglichen Angebot abzuschöpfen oder zusätzlich auf eine ungeheure Menge von ergänzenden Daten zurückzugreifen. Der elektronische Zeitungsbote wird es den Redaktionen erlauben, Artikel ununterbrochen, auch Wochen nach ihrer ersten Veröffentlichung, auf den neuesten Stand zu bringen. Der Leser wird nicht länger von den Produktions- und Vertriebszyklen einer Tageszeitung abhängig sein. Wann ein Artikel vollständig und abgeschlossen ist, bestimmt der Leser.

Die geschilderten Gedanken und Anregungen aufgenommen hat anscheinend Matt Galligan mit seinem News Start Up Circa. Gut möglich, dass sich Teile des Geschäftsmodell der Massenmedien durch Technologie retten lassen.

Weitaus schwerwiegender ist allerdings der Reputationsverlust der Medien in der Öffentlichkeit. Artikel, die eher an Storytelling und PR-Journalismus erinnern wie auch die Verquickung führender Medienvertreter dem den Mächtigen im Land, haben das Vertrauen der Leser in die Medien schwer erschüttert, wie der aktuelle Bericht von Transparency International bestätigt.

Intermediäre wie Verlage und Fernseh- und Radiosender können ohne das Vertrauen der Kunden auf Dauer nicht überleben. Die Digitalisierung und der Überfluss an Alternativen tun ihr übriges. Insofern nimmt die Relevanz der Massenmedien als Intermediäre, anders als Ottfried Jarren annimmt, ab.

Eine Erfahrung, die auch die Finanzintermediäre, d.h. die Banken, machen. Nur sind die Banken durch die Regulierung und ihrer Funktion als Risikohändler (noch) geschützter.

Weitere Informationen:

Medienkritik: Vom Sterben des Journalismus wie wir ihn kannten “Er wird untergehen, der massenmediale Journalismus”

Medienwissenschaftler Bernd Gäbler: Das System der Massenmedien hat ausgedient

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