Von Ralf Keuper
Bereits vor einigen Jahrzehnten machte der Sprachforscher Noam Chomsky die Entdeckung einer angeborenen inneren Grammatik, die die Menschen dazu befähigt, Sprachen in relativ kurzer Zeit zu erlernen. In Fachkreisen ist das angeborene Regelverständnis, die innere Grammatik bis heute umstritten. Nun ist Forschern vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik und der New York University der Nachweis der inneren Grammatik gelungen, wie aus der Meldung Wir haben die Grammatik verinnerlicht: Experimente weisen angeborenes Regelverständnis nach hervorgeht:
Die Studie, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience erscheint, baut auf Chomskys Arbeit „Syntactic Structures“ von 1957 auf. Danach nehmen wir Sätze wie „Farblose grüne Ideen schlafen wütend“ als sinnlos, aber grammatisch richtig wahr. Dies funktioniert, weil wir eine abstrakte Wissensgrundlage besitzen, die eine derartige Unterscheidung zulässt, auch wenn unserer Erfahrung nach keine statistische Beziehung zwischen den Wörtern vorhanden ist.
Weiterhin heisst es über die Experimente:
Ihre Ergebnisse belegen, dass unser Gehirn drei verschiedene Komponenten der gehörten Sätze klar voneinander unterscheidet. Dabei spiegelt es die Hierarchie in der neuronalen Verarbeitung von linguistischen Strukturen wider: Wörter, Phrasen und Sätze. Die Rhythmen im Gehirn, sogenannte neuronale Oszillationen, die diesen Prozessen des Sprachverstehens zugrunde liegen, sind angepasst an die Zeitstruktur der jeweiligen Sprachstruktur, d.h. schnellere Rhythmen verfolgen Worte, langsamere verfolgen Sätze.
… Mit dieser kontroversen Schlussfolgerung hat das Team eine alte Diskussion neu entfacht. Die Annahme einer abstrakten, hierarchischen und grammatikbasierten Strukturbildung war von der Forschung eigentlich längst verworfen worden.
Eine ebenso so kurze wie informative Einführung in Chomsky’s Sprachtheorie gibt ein Video der BBC.
Hier noch ein Auszug aus Chomsky’s Buch Sprache und Politik:
Fortschritte in der Psychologie der Sprache
In dieser Konzeption dreht es sich beim Spracherwerb nicht darum, aus einer unendlichen Menge sehr verwickelter Hypothesen eine Hypothese auszuwählen. Sondern es geht darum, innerhalb eines von vornherein sehr stark beschränkten Systems, bei dem die Komplexität der Regeln ausgesondert und in die von Anfang an vorhandene Verdrahtung verlegt worden ist, die für eine „vollständige“ Verdrahtung“ noch fehlenden Parameterwerte festzulegen. Das müsste in etwa die richtige Sicht sein. Ich meine, ein System dieser Art ist intuitiv einleuchtend; es hat die richtige Art von qualitativen Eigenschaften. Mit seiner Hilfe ließe sich erklären, wie man auf Grundlage so geringen Datenmaterials so viel sprachliches Wissen haben kann, und weshalb die menschlichen Sprachen eine so reichhaltige Struktur haben, während sie ja andererseits keinesfalls ein Regelsystem haben können, das so komplex und umfangreich ist, dass man es gar nicht lernen kann. …Eine allgemeine Lerntheorie
Einer der Unterschiede zwischen dem Bild der frühen sechziger Jahre und unserer .. gegenwärtigen Vorstellung besteht darin, dass es dem gegenwärtigen Bild zufolge nur eine begrenzte Zahl von Sprachen, das heisst, von strukturell unterschiedlichen Sprachen gibt. Es gibt eine endliche Anzahl von Schaltern mit einer jeweils sehr kleinen Anzahl von Schaltzuständen, und aus jeder Gesamtheit von Schaltereinstellungen resultiert .. eine mögliche Sprache. Die frühe Konzeption besagte dagegen, dass es eine unendliche Anzahl von Grammatiken gibt und man sich dann die einfachste aneignet. Nun, diese neuen formalen Theorien gehen von recht vernünftigen Voraussetzungen in Bezug auf das Lernen aus, zum Beispiel davon, dass man sich an einzelne Dinge nicht allzu lang erinnern kann. Unter solchen Bedingungen ist das Erlernen eines stabilen Systems – nämlich der Sprache, wie man sie beherrscht, wenn man volle Kompetenz erlangt hat – nur möglich, wenn die Menge der grundsätzlich verschiedenen Sprachen – der Sprachen, die in einem präzis definierten Sinn strukturell verschieden sind – nur endlich viele Mitglieder hat. Das gibt uns einen Hinweis darauf, wie die Struktur der Universalgrammatik aussehen sollte. Sie sollte nur eine begrenzte Zahl verschiedener Grammatiken erlauben.
Für Tom Wolfe ist Chomsky’s Theorie dagegen wissenschaftlich widerlegt. In einem Interview sagt er:
Chomsky behauptete als junger Linguist, das Rätsel von der Entstehung der Sprache entschlüsselt zu haben. Wir Menschen seien mit einem Organ geboren, das komplexen Satzbau und Grammatik erst möglich mache. Alle Sprachen würden grammatikalischen Prinzipien folgen, die uns Menschen angeboren seien. Chomsky wurde für seine Behauptungen gefeiert, und er wurde wie Darwin zum Superstar seines Fachs. Doch ein unbekannter Forscher namens Daniel Everett hat ihn widerlegt. Everett fand im brasilianischen Dschungel den Stamm der Pirahãs, die Grammatik nicht kennen. Sie haben keine Wörter für Farben, keinen Humor und reden weder in der Zukunfts- noch in der Vergangenheitsform. Chomskys Theorie war damit erledigt. Die Antwort auf die Frage, wie Sprache entsteht, lautet: Wir wissen es nicht.
Weitere Informationen:
Generative Transformationsgrammatik