Individuell im deutschen Geiste lag .. ein oft stürmischer Hang, vom Bedingten der Wirklichkeit, die ihn umgab und vielleicht oft stärker bewegte, reizte und quälte als andere Völker, rasch emporzusteigen zum Unbedingten, zu einer metaphysischen, zuweilen auch nur quasi-metaphysischen Welt, die ihn erlösen sollte. In Luther wie in der Goethezeit und im deutschen Idealismus, zumal dem Hegelschen, kulminierte dieser Hang. Wie aber, wenn nun das Unbedingte im Physischen selbst, ihm immanent, gesucht wurde, wenn in der Wirklichkeit selbst die Mittel und Wege entdeckt wurden, um ihre Wirrnis zu entwirren und ihre Enge zu überwinden?

Das geschah seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch alles, was man den neuen Wirklichkeitssinn, Realismus, Realpolitik usw. nannte und als neuen Leitstern im Handeln pries. Nun hatte man sich damit wiederum, wie man wähnte, ein Unbedingtes erobert. Das heißt, der alte metaphysische Drang des deutschen Geistes hatte sich wieder einmal gezeigt, aber aus Irrtum und Perversion keine wirkliche metaphysische Sphäre sich erobert, sondern eine irdische mit dem Range des Metaphysischen bekleidet oder doch ihm angenähert. So konnte nun selbst ein Treitschke, trotzdem er zugleich auch in einer echt metaphysischen Sphäre zu Hause war, das bedenkliche Wort sprechen, dass das Wesen des Staates Macht und abermals Macht und zum Dritten Macht sei, – während Macht zwar zum Wesen des Staates gehört, aber niemals ausschließlich es ausmachen dürfte, ohne ihn ethisch zu entleeren. Das unbedachte Wort Treitschkes hat viel dazu beigetragen, den Machtrausch im deutschen Bürgertum hervorzubringen.

in: Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe