Kein Denker kann seinen Beruf ausüben, ohne von allumfassenden, integrierenden, ihren Wert in sich selbst tragenden Erfahrungen angezogen und durch sie belohnt zu werden. Ohne sie wüsste er niemals, was Denken tatsächlich bedeutet, er wäre bei der Unterscheidung zwischen wahrem und scheinbarem Denken ganz und gar ratlos. Denken vollzieht sich in Form von Ideenketten, doch die Ideen bilden nur deshalb eine Kette, weil sie weitaus mehr darstellen als das, was die analytische Psychologie als Gedanken bezeichnet. Sie sind praktisch und gefühlsmäßig voneinander unterschiedene Phasen einer zugrundeliegenden, immer deutlicher hervortretenden Qualität; sie sind deren dynamische Spielarten; sie sind nicht isoliert und voneinander unabhängig wie Lockes und Humes sogenannte Ideen und Eindrücke, sondern subtile Schattierungen eines sich verbreitenden und stärker werdenden Farbtons. …
Daher hat eine Denkerfahrung ihren eigenen ästhetischen Charakter. Sie unterscheidet sich von denjenigen Erfahrungen, deren ästhetischer Charakter gemeinhin anerkannt ist, lediglich durch ihre stofflichen Inhalte. Das Material der Schönen Künste besteht aus Eigenschaften; das Material einer Erfahrung, die zu einer intellektuellen Schlussfolgerung führt, besteht aus Zeichen und Symbolen, ohne eigenständige Qualität; die jedoch Dinge ausdrücken, die in einer anderen Erfahrung qualitativ erlebt werden können. Der Unterschied ist gewaltig. Es ist einer der Gründe dafür, warum die streng intellektuelle Kunst niemals in der Weise populär sein wird, wie es die Musik ist. Gleichwohl gewährt die Erfahrung an sich eine emotionale Befriedigung, da sie eine durch geordnete und systematisierte Bewegung gewonnene innere Integration und Erfülltheit besitzt. Diese künstlerische Struktur kann unmittelbar empfunden werden. Insofern ist sie ästhetisch.
Quelle: John Dewey. Kunst als Erfahrung