Von Ralf Keuper 

Woher stammt das Bedürfnis, die Zeit in Epochen einzuteilen, warum hat die Periodisierung in der Geschichtswissenschaft eine so große Bedeutung? Der berühmte französische Historiker Jacques Le Goff liefert in seinem letzten Buch Geschichte ohne Epochen? einige Antworten.

Die These seines Buches fasst Le Goff in die Worte:

Der Begriff „Periodisierung“ ist der Leitfaden dieses Essays. Er bezeichnet einen menschlichen Eingriff in die Zeit und unterstreicht, dass ihre Einteilung nicht wertfrei ist. Hier sollen die mehr oder weniger erklärten, mehr oder weniger eingestandenen Gründe aufgezeigt werden, warum die Menschen die Zeit in Perioden eingeteilt haben, oft mit Definitionen versehen, die den ihnen beigemessenen Sinn und Wert hervorheben.

Etwas später schreibt er:

Auch wenn die Periodisierung hilft, die Zeit oder vielmehr den Umgang mit ihr zu beherrschen, ist sie für die Einschätzung der Vergangenheit manchmal problematisch. Die Geschichte zu periodisieren ist ein komplexer Vorgang, sowohl behaftet mit Subjektivität als auch mit dem Bestreben, ein mehrheitsfähiges Ergebnis zu erzielen.

Als Paradebeispiel für die Periodisierung mit all ihren Vor- und Nachteilen wählt Le Goff die Renaissance.

Wie andere Historiker auch, wendet sich Le Goff gegen die Behauptung, das Mittelalter sei ein dunkles Zeitalter gewesen, das von Rückschritten in fast allen Lebensbereichen geprägt war. Im Vergleich dazu erschien die Antike wie ein verloren gegangenes Paradies, an dessen Leistungen wieder anzuknüpfen sei. Notwendig war eine Wiedergeburt der Antike – die Renaissance. Der Begriff der Renaissance wurde jedoch erst im 19. Jahrhundert von Jules Michelet in die Geschichtswissenschaften eingeführt. Vor Michelet war es der italienische Dichter Petrarca, der als erster den Ausdruck „Mittelalter gebraucht hat. Damit war eine Epoche gemeint, die zwischen der Antike und dem neuen Zeitalter lag – daher Mittelalter.

Da die Renaissance keinen Bruch mit dem vorangegangen Zeitalter markierte, sieht sich Le Goff veranlasst, vom „Langen Mittelalter“ zu sprechen:

Jetzt gilt es aufzuzeigen, dass es sowohl auf wirtschaftlichem, politischem und sozialem als auch auf kulturellem Gebiet im 16. Jahrhundert, eigentlich sogar bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, keine grundlegende Veränderung gegeben hat, die eine Trennung zwischen dem Mittelalter und einer neuen, anderen Periode, die dann Renaissance wäre, rechtfertigen würde.

Le Goff bestreitet den Wert der Periodisierung für die Geschichtswissenschaft keineswegs; jedoch mahnt er dazu, die Dauer der Epochen nicht zu unterschätzen, und zeitweilige Brüche nicht überzubewerten und sogleich mit einem neuen Zeitalter gleichzusetzen:

Ich für meinen Teil glaube, dass wir der Wirklichkeit und einer Periodisierung, die einen zugleich bequemen als auch ergiebigen Gebrauch der Geschichte zulässt, näher kommen, wenn wir in Betracht ziehen, dass lange Perioden von zwar wichtigen, allerdings nicht entscheidenden Phasen der Veränderung geprägt sind: Unterperioden, die man im Falle des Mittelalters „Renaissancen“ nennt, um das Neue mit der Vorstellung einer Rückkehr zu einem goldenen Zeitalter zu kombinieren.

Mit ähnlichen Fragen wie Le Goff haben sich Reinhart Koselleck in Zeitschichten und Heinz-Dieter Kittsteiner in Die Stabilisierungsmoderne beschäftigt.

Schreibe einen Kommentar