Von Ralf Keuper

Gestern verstarb, völlig unerwartet, der streitbare Mit-Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, im Alter von nur 54 Jahren an Herzversagen.

Für lange Zeit war Schirrmacher für mich ein typischer Repräsentant des konservativen Lagers in Deutschland. Dieser Eindruck änderte sich bei mir, und ganz gewiss auch bei anderen, spätestens als Schirrmacher seine Zweifel an der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte in seinem Beitrag „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ öffentlich machte. Kurz darauf machte Schirrmacher David Graebers Buch Schulden. Die ersten 5000 Jahre einem größerem Publikum bekannt.

Den Zorn einiger prominenter Vertreter der Netzgemeinde zog Schirrmacher sich zu, als er vor der Allmacht der Algorithmen warnte. In einem Interview mit Alexander Kluge machte Schirrmacher deutlich, worin er die eigentliche Bedrohung der Algorithmen für das Denken sah. Zuletzt trat Schirrmacher verstärkt als Anwalt gegen die zunehmende Überwachung im Netz auf. Die Vergabe des Friedenspreises des Deutsches Buchhandels an Jaron Lanier begrüßte er (bereits im Jahr 2000 widmete er Lanier den Beitrag “Der Vordenker”), das Projekt der Krautreporter fand seinen Zuspruch.

In einer Zeit, in der die Rolle der Printmedien so infrage steht, wie wohl noch nie zuvor, zeigte Schirrmacher, was wirklichen “Qualitätsjournalismus” ausmacht: Selbständiges, unabhängiges Denken, ein unverwechselbarer Denkstil.

Mag sein, dass Schirrmacher die Auswirkung der Digitalisierung häufig zu pessimistisch gesehen hat. Nicht ausgeschlossen, dass wir in Zukunft feststellen werden, dass er noch untertrieben hat.

Schirrmacher war für mich einer der profiliertesten Vertreter des (aufgeklärten) Bürgertums in Deutschland. Oder, um eine Klassifikation von Ralf Dahrendorf aufzugreifen, ein ausgewiesener Erasmier.

Joachim C. Fest, Vorgänger von Frank Schirrmacher bei der FAZ, brachte die Anforderung an die bürgerliche Denk- und Existenzweise in einem Gespräch mit Wolf Jobst Siedler und Frank A. Meyer einmal auf den Punkt:

Ich glaube tatsächlich, dass es eine Schwierigkeit des Bürgerseins gibt, Bürger sein ist an sich schwierig – es steckt sehr viel Anforderung dahinter (in: Der lange Abschied vom Bürgertum. Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler im Gespräch mit Frank A. Meyer)

Dieser Schwierigkeit ist Frank Schirrmacher nie aus dem Weg gegangen.

Er wird fehlen.

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