Von Ralf Keuper

Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf äußerte sich in einem Fernsehinterview mit Alexander Kluge zur Frage, wie und warum die Menschen sesshaft wurden. 

Die Menschen, die vor 10.000 Jahren im sog. Fruchtbaren Halbmond lebten, hatten, entgegen einer noch immer weit verbreiteten Ansicht, Beute im Überfluss. Trotzdem haben sie ihre Ernährungsweises geändert und um pflanzliche Früchte ergänzt. Das geschah weniger der Ernährung willen, sondern in erster Linie zur Erzeugung euphorischer Zustände. So wird der Fliegenpilz bereits seit Urzeiten als Rauschmittel von Schamanen zur Stärkung der Gruppenidentität eingesetzt, wie in der Religion, wie die Religion überhaupt ihrer Bedeutung nach die Rückbindung an den Stamm zum Ziel hat. Mit der Verbreitung der Rauschmittel wird das Gehirn zum wirklichen Acker. Zwei Kulturen lassen sich dabei unterscheiden: Rausch auf Basis von Alkohol oder mittels Haschisch oder anderer Drogen. 

Für Alkohol benötigt man stärkehaltige Früchte, wie Gerste für Bier. Es gibt Völker, die sehr viel mehr Alkohol vertragen können als andere. Alkoholtolerante Völker haben im großen Stil Ackerbau betrieben, wie Indoeuropäer, Mongolen, Koreaner und Japaner. Alkoholanfällig waren die Indianer, die stattdessen Rauschmittel wie Peyote verwendeten.  Eine Kombination daraus war und ist nicht mehr beherrschbar.
Gemeinschaften sind daher an Rauschmittel gebunden, wodurch die jagenden Menschen in die Sesshaftigkeit gezogen wurden. Produkte, die nur an einem Ort angebaut und über einen längeren Zeitraum bearbeitet werden müssen, erzwingen die Sesshaftigkeit. Das wiederum macht Besitzansprüche nötig, was zur Ablösung des Schamanen durch die Priesterklasse führte. 

Für den Gebrauch der Drogen zur Stabilisierung einer Gemeinschaft bedurfte es bestimmter Riten und Regeln, die von der Priesterklasse festgelegt und überwacht wurden.  Damit regulierte die Priesterkaste  die Gesellschaft und war bzw. ist häufig mächtiger als die eigentlich Mächtigen.
Durch die steigende Produktivität war es möglich, deutlich mehr Menschen zu ernähren als bisher. Es entstand Menschenmaterial im Überfluss, das z.B. in Kriegen verheizt werden konnte. Die Frage lautet seitdem: Wohin mit dem Überschuss? 
Die Nomaden hatten ihre Vermehrungsrate stets den Ressourcen angepasst. Wo Nahrung gestapelt werden kann, ist der Vermehrung der Menschen keine Grenze gesetzt. Überproduktion und Übernutzung sind die Folge. 
Stabile Ungleichgewichte sind jedoch der Motor des Fortschritts. Aus dem Überfluss entsteht Neues, da man es sich leisten kann, zu experimentieren. 

Die erste gemeinsame Quelle sprachlicher Ausdrucksfähigkeit lässt sich vor 40.000 – 50.000 Jahren in den Höhlenmalereien feststellen. Darin vergegenständlicht der Mensch sich und die Umwelt. Die Sprache wird unabhängig von den Objekten. 

Die Evolution der Gefäße über Schläuche zu Töpfen und Flaschen wiederum führte dazu, Milch und Bier stehen und gären zu lassen. 

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