Objektivität und die als Rechtfertigung derselben dienende Verpflichtung auf wissenschaftliche Gültigkeit statt auf soziale Anliegen machen sich gerade heute besonders stark bemerkbar. Wenn der Fachmann auftritt, diskutiert der Ökonom nicht über Gerechtigkeit oder Güte des klassischen oder neo-klassischen Systems; er würde damit zeigen, dass es ihm an wissenschaftlicher Motivation fehlt. Von wirtschaftlicher Ungerechtigkeit, wirtschaftlichem Versagen zu sprechen, Werturteile über die Wirtschaftsleistung zu fällen oder zu freimütig Vorschläge zu deren Verbesserung zu machen, ist wissenschaftlich gesprochen schlichtweg verboten.

Vielleicht ist es auch vom praktischen Standpunkt ganz gut, dass nicht alle Ökonomen sich  mit sozialen oder moralischen Anliegen befassen oder sich auf praktische Fragen einlassen. Das Ergebnis könnte ein ohrenbetäubendes Stimmengewirr sein. Aber um der historischen Wahrheit willen muss gesagt sein: Die Anmaßung der Volkswirtschaftslehre, eine exakte Wissenschaft zu sein, rührt ganz entschieden aus der Notwendigkeit her, sich aus der Verantwortung für die Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten des Systems, das die große klassische Tradition errichtet hatte zu entziehen. Sie dient auch heute noch als Rechtfertigung eines stillen, ungestörten Berufslebens.

Quelle: Die Entmythologisierung der Wirtschaft. Grundvoraussetzungen ökonomischen Denkens