Eine wissenschaftlich begründete menschliche Solidarität gibt es nicht. Gewiss kann ich mich davon überzeugen, dass es nicht in meinem Interesse liegt, zu rauben, zu vergewaltigen oder zu morden, weil das Risiko zu groß ist. Das ist das Hobbes’sche Modell: von der Furcht gezügelte Gier. Doch das soziale Chaos steht im Schatten einer solchen moralischen Anarchie. Wenn eine Gesellschaft aus Umsicht allein an moralischen Normen festhält, ist sie extrem schwach und ihr Stoff reißt bei der kleinsten Krise. In einer solchen Gesellschaft gibt es für persönliche Verantwortung, Barmherzigkeit und Mitleid keine Basis. Nun wird mit dem ökologischen Imperativ ein neues Ethos der Selbsterhaltung diskutiert. Bis zu einem gewissen Maß mag es stimmen, dass wir instinktiv auf Arterhaltung programmiert sind. Doch die Geschichte des letzten modernen Jahrhunderts hat unmissverständlich gezeigt, dass wir Mitglieder unserer eigenen Spezies ohne große Hemmungen vernichten können. Sollte es tief unten auf biologischer Ebene eine Solidarität der Spezies geben, so hat sie uns davor nicht bewahrt. Also brauchen wir Instrumente menschlicher Solidarität, die sich nicht auf unsere Instinkte, Eigeninteressen oder auf Gewalt gründen. Der kommunistische Versuch, Solidarität zu institutionalisieren, ist in der Katastrophe geendet. (in: “Ich rechne nicht mit dem Tod Gottes”).