Wenn man den Zettelkasten Niklas Luhmanns zu den Themen „Krise“ und „Katastrophe“ befragt und zu diesem Zweck die 1250 bzw. 3200 Stichworte umfassende Schlagwortregister der beiden Sammlungen konsultiert, so ergibt sich ein eher ernüchternder Befund.

Den Begriff „Krise“ kennen die Register nicht – was hinsichtlich der frühen, eher philosophisch orientierten Sammlung (ca. 1950-1963) schon überrascht, da hier die Husserl-Bezüge mit dem Konzept der Lebenswelt, das in dessen Krisis-Aufsatz entwickelt worden ist, unübersehbar sind. In der zweiten, neueren und genuin soziologischen Sammlung (ca. 1963-1996) werden für „Krisentheorie“ immerhin vier Systemstellen benannt, von denen allerdings nur eine überhaupt einen nennenswerten Umfang erreicht. Diese 43 Zettel umfassende Abteilung „532/14 Krisentheorie“ befindet sich im Kontext des ca. 2000 Zettel umfassenden Themenblocks „532 Soziale Ordnung / Soziales System“, der sich primär mit der Organisation beschäftigt und den Luhmann größtenteils bereits bis Mitte der 1960er Jahre erstellt haben dürfte. Entsprechend wird Krise hier primär als ein Strukturänderungsproblem in Organisationen verstanden, auch wenn der Begriff zunächst an das allgemeine System/Umwelt-Modell, wie es für den damaligen Entwicklungsstand der Luhmannschen Theorie charakteristisch war, angepasst wird:

[Zettel 532/14 / nl-zkII-10- 523_14] „Krisentheorie Krisen sind heikle Situationen in System/Umwelt-Beziehungen, die den Bestand des Systems in Frage stellen. Die Krisenlehre ist, weil sie einen Extremfall behandelt, für Strukturfragen in besonderem Sinne aufschlussreich. Sie ergibt sich in ihrer Problemdarstellung und in ihren Bezugsbegriffen aus der allgemeinen System/Umwelt-Theorie.“

Quelle: Krisen und Katastrophen: Kein Thema für Niklas Luhmann?, in: Sozusagen: Bielefelder Studierendenmagazin der Fakultät für Soziologie, Wintersemester 2012/2013