Von Ralf Keuper

In seinem Buch Ein Paradigma begibt sich der Sinologe Jean François Billeter zu den Anfängen des Denkens. Der Verlag schreibt:

In seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der Sprache, dem Denken und der Geistesgeschichte Chinas stellte sich dem Sinologen Jean François Billeter mehr und mehr die Frage, was uns befähigen könnte, sowohl das Gemeinsame als auch das Verschiedene beider Welten deutlicher zu sehen und zu verstehen. Er fragt sich unter anderem, ob sich eine Auffassung des menschlichen Subjektes finden ließe, die den gemeinsamen Grund, auf dem beide Traditionen notwendigerweise stehen, zugänglich machen könnte. Ein Paradigma ist ein erster Versuch, eine solche Auffassung des Subjektes nicht nur als hermeneutisches Hilfsmittel zur Erkundung Chinas zu nutzen, sondern als einen selbstständigen philosophischen Ansatz darzulegen.

“Die Entstehung der Gedanken aus einem bestimmten körperlichen Zustand der Leere” die Billeter bei sich beobachtet, verkörpert für ihn in besonderer Weise die Lehre des Zhuangzi.  In seiner Besprechung Wie unscheinbar doch das Denken beginnt in der FAZ vom 19.05.17 geht Mark Siemons näher darauf ein:

Von Zhuangzi stammt die folgenreiche Forderung, sich mit dem “unendlich Nahen und fast Unmittelbaren” zu beschäftigen, das den meisten Denkern entgehe, und auch die Weigerung, das Bewusstsein und den Intellekt vom Körper zu isolieren – eine in Zeiten des wachsenden Vertrauens auf künstliche Intelligenz vielleicht besonders wertvolle Perspektive. En passant gelingt dem Sinologen so der Nachweis, dass auch Einsichten aus den nicht-westlichen Kulturkreis universell sein können und dass es nicht des Umwegs des Kulturvergleichs oder der Kultursynthese bedarf, um das zu zeigen.

In der Vergangenheit haben viele Philosophen und Denker auf die nahe Verwandschaft zwischen dem fern-östlichen Denken und dem der Mystiker, allen voran Meister Eckhart und in neuerer Zeit Hugo Makibi Ennomiya-Lassalle, hingewiesen.

Dass Denken nicht nur mit Anstrengung verbunden ist, sondern auch der Kontemplation, der inneren Sammlung bedarf, stand für Josef Pieper außer Frage:

Nicht in der denkerischen Anstrengung liegt das Eigentliche der Erkenntnis, sondern darin, dass sie die seienden Dinge in den Griff bekommt, dass sie Wirklichkeit enthüllt.

Und wie im Bereich des Guten gerade die größte Tugend nichts Schweres kennt, so auch wird die höchste Form des Erkennens – der blitzhafte geniale Einfall, die echte Kontemplation – dem Menschen zuteil wie ein Geschenk; sie ist mühelos und ohne Beschwer. … Gewiss mag solcher höchsten Verwirklichung von Erkenntnis eine äußerste Denkanstrengung voraufgegangen sein. Vielleicht muss sie voraufgegangen sein; jedenfalls aber ist dann die Anstrengung nicht Ursache, sondern Bedingung (in: Muße und Kult)

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