Den geistesgeschichtlichen Hintergrund der liberalen Ökonomie bilden die Naturrechtsphilosophie und der Utilitarismus, beides moralmetaphysische Systeme, denen die Anschauung zugrunde liegt, man könne politisch-moralische Entscheidungen unmittelbar der Erkenntnis wirklicher Zusammenhänge entnehmen. Das naturrechtliche Denken vollzog diese Operation mit Hilfe des Begriffs einer rational einsehbaren „natürlichen Ordnung“, in die die eigene Wertposition zunächst hineingedeutet wurde, damit man sie dann im Bedarfsfalle wieder daraus ableiten konnte. Der Utilitarismus bediente sich des angeblich einsichtigen Prinzips „des größten Glücks der größten Zahl“, einer inhaltlich völlig unbestimmten Formulierung, die aber gerade deshalb für die verschiedensten Deutungen brauchbar war. In beiden Fällen erfolgte die politische Anwendung ökonomischer Systeme also mit Hilfe der Interpretation von Leerformeln. Diese Formeln haben zwar keinerlei Erkenntniswert, aber sie sind dafür politisch sehr „fruchtbar“, da sie sich „für alle Arten institutioneller Menschenführung besonders eignen. Sie erwecken – zumal bei den Geführten – den Eindruck unerschütterlicher Stetigkeit der obersten Grundsätze, während sie die lenkenden Autoritäten bei ihren konkreten Entscheidungen in keiner Weise behindern“.

Die oben angeführte Benthamsche Leerformel hat vor allem auch die neoklassische Nationalökonomie befruchtet, indem sie zum Vorbild analoger Formulierungen wurde, die die praktische Verwendung ökonomischer Doktrinen ermöglichen sollten. Von den verschiedenen Maximumtheoremen neoklassischen Stils, der These der Maximierung der Bedürfnisbefriedigung, des sozialen Nutzens, der wirtschaftlichen Wohlfahrt, des Sozialprodukts, bei vollständiger Konkurrenz bis zur Bestimmung der optimalen Produktions-und Austauschbedingungen in der neueren Wohlfahrtsökonomik, zur Konstruktion von Kompensationsprinzipien und zur Festsetzung einer sozialen Wohlfahrtsfunktion hat dieses Benthamsche Prinzip immer wieder zur erneuten Formulierung mehr oder weniger verschleierter normativer Aussagen geführt, die ihre politische Verwendbarkeit vorzugsweise ihrem Mangel an Gehalt verdanken. Die „natürliche Ordnung“ des anderen Zweiges der rationalistischen Moralmetaphysik ist in den Gleichgewichtskonstruktionen der statischen Konkurrenztheorie wiederzufinden, die in den meisten Fällen den versteckten Übergang vom positiven zum normativen Denken erleichterten und mit den Maximal- und Optimalprinzipien zu einem einheitlichen Gedankengebäude verschmolzen.

Quelle: Das Ende der Wohlfahrtsökonomik

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