Es ist seltsam, aber die meisten Leute, die die Welt zwecks Ausübung der Weisheit engagiert hat, also die Philosophen vom Fach, machen auf mich keineswegs den Eindruck besonderer Weisheit. Ihr Name verkündet zwar, dass sie Weisheit lieben, aber ist das gegenseitig? Was der Laie an der Philosophie wichtig findet, ist fast immer aphoristisch. Nur aus den Schriften derjenigen Philosophen, welche die Zunft nicht ganz anerkennt – ich nenne sie die Claire-obscur-Philosophen – , wird er manches für ihn Gültige herauslesen können. Dazu gehören z.B. St. Augustinus, Meister Eckart, Montaigne, Nietzsche, Wittgenstein, Schopenhauer, Simon Weil. Fachlich-philosophisch betrachtet, waren die meisten der hier Genannten Laien; auch insofern, als sie hervorragende Schriftsteller waren. …
So will ich denn, gemäß einem meiner zahlreichen Wahlsprüche – semper contumax („immer trotzig“) -, noch einmal den Lobgesang des Laien anstimmen. Einst war er ein seliger Analphabet; jetzt ist er es nicht mehr, aber das macht nichts. Was er sieht, was er hört, was er liest, kann ihm nicht schaden; meist macht es ihn besser. Sein Gewissen ist stärker als sein Wissen. Er erwartet vom Leben nicht mehr, als was es geben kann. Er ist nur dort skeptisch, wo Zweifel am Platz ist, aber er öffnet sich den Versicherungen seines Herzens. Er ist sirenenfest – ich rede von den lockenden Sirenen, nicht von den gräßlich schreienden in der Nacht. Er ist widerspenstiger als ein Maulesel, wenn man ihn überreden will; er kauft nichts, was man ihm anpreist. Er ist weniger stolz auf das, was er weiß, als auf das, was er nicht weiß. Der Fachmann kann ihm eher seine Wasserleitung reparieren, als seine Weltanschauung. Er ist hartherzig gegenüber professionellen Schnorrern, die ihm kolorierte Broschüren ins Haus schicken und gegenüber Politikern, die das Gleiche tun. Er ist gereizt, wenn man ihm Wissen einzuflößen versucht, das er nicht haben will.
Quelle: Lob des Laien, Universitas 5/1992