Von Ralf Keuper
Programmierer bzw. Softwareentwickler sind, wie wohl jeder, der als Nicht-Informatiker mit ihnen zu tun hat(te), eine Spezies für sich, was keinesfalls abwertend gemeint ist, ist doch jede Berufsgruppe auf ihre Art speziell. 
Allerdings hat sich die sozialwissenschaftliche Forschung wie auch die Literatur bisher kaum mit der Zunft der Informatiker beschäftigt, was bei der Bedeutung der IT für unseren Alltag und die Wirtschaft überrascht. Ein Missstand, auf den Arne Janning in seinen Notizen zu einer Sozialgeschichte der Programmierung hinweist. Janning bemängelt u.a., dass zwischen den Softwareentwicklern und dem Management noch immer ein Graben, ein Verständigungsproblem besteht. Während die Entwickler, hemdsärmelig, lieber gleich programmieren, als sich mit Modellen, Datenbankarchitekturen oder, ganz Meta, der Enterprise Architecture aufzuhalten, will das Management zunächst das Big Picture festlegen. Hier prallen zwei Welten, zwei Denkstile aufeinander.
Im Grunde genommen geht es bei diesem Konflikt auch um die Frage, ob und inwieweit die Softwareentwickler ihre (kleinen) Freiheiten bewahren können und nicht dem Fordismus bzw. Taylorismus in der Softwareindustrie zum Opfer fallen. Bisher sind alle Versuche, die Prinzipien der Massenfertigung auf die Softwareentwicklung zu übertragen, weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Allenfalls beim automatisierten Testen sind Erfolge festzustellen, sofern es denn eingesetzt wird. 
Das alles legt die Vermutung nahe, dass es sich bei der Programmierung um eine Tätigkeit handelt, die sich dem reinen ökonomischen Effizienzdenken entzieht. Fast hat man den Eindruck, dass es sich hier um eine der letzten Bastionen schöpferischen Arbeitens im Zeitalter der Angestellten handelt. 
Eines der wenigen mir bekannten Bücher, das sich erzählerisch mit der Welt der Programmierer beschäftigt, ist Close to the machine. Mein Leben mit dem Computer von Ellen Ullman. 
Den Rang eines Klassikers hat The Mythical Man-Month. Essays on Software Engineering von Frederick. P. Brooks. Eine der zentralen Aussagen darin lautet:

Since software construction is inherently a system effort – an exercise in complex interrelationships – communication effort is great, and it quickly dominates the decrease in individual task time brought about by partitioning. Adding more man then lengthens, not shortens, the schedule.

Der Befund gilt unverändert. 
Sicherlich ist die Entwicklung seitdem nicht stehen geblieben; es hat nicht an Versuchen gefehlt, das von Brooks beschriebene Dilemma mit neuen Arbeits – und Programmiermethoden zu beheben – von der Objektorientierung über Open Source bis zur agilen Softwareentwicklung. Hervorzuheben ist u.a. der Essay Die Kathedrale und der Basar von Eric S. Raymond und Pattern Language von Christopher Alexander u.a.. Gelöst ist das Problem aber bis heute nicht. 
Janning führt diese unbefriedigende Situation auf den Einfluss der Literaturtheoretiker und Hermeneutiker wie Friedrich Kittler zurück. Für sie materialisieren sich in der Software ebenso wie in den Rechner- und Datenbankstrukturen die gesellschaftlichen Reproduktionsmechanismen bzw. Diskurse. Benötigt wird, so Janning, ein Realismus-Turn. Also weg von den Höhen der Abstraktion in den “dramatischen Reichtum der konkreten Welt” (Helmut Pape).
Bisher hat die Sozialgeschichte das Potenzial, die Bedeutung der Softwareindustrie für ihr Fach nicht erkannt. Und das, obwohl sich hier die Paradigmen, die Methoden ständig wandeln und das Verhalten der Maschinen ebenso wie der Menschen, in einem nicht unerheblichen Umfang, beeinflussen. 

Weitere Informationen:

Arne Janning & Kathrin Passig. Notizen zu einer Sozialgeschichte der Programmierung (II)

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