Von Ralf Keuper

Nach wir vor typisch für die deutsche Denkart ist das deduktive Vorgehen, d.h. der Schluss vom Ganzen auf die Einzelteile. Begriffe wie System und Ganzheit sind daher fester Bestandteil des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs. Zu dieser Kategorie zählt auch der Gestalt-Begriff.

Kaum einer hat die Gestalttheorie so geprägt wie Max Wertheimer. Noch immer lesenswert ist sein Aufsatz Über die Gestalttheorie aus dem Jahr 1924.

Exemplarisch für sein Denken ist folgende Bemerkung:

Es gibt Zusammenhänge, bei denen nicht, was im Ganzen geschieht, sich daraus herleitet, wie die einzelnen Stücke sind und sich zusammensetzen, sondern umgekehrt, wo – im prägnanten Fall – sich das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt von inneren Strukturgesetzen dieses seines Ganzen.

Besonderes Merkmal der Gestalttheorie ist die Betonung der Dynamik, d.h. ein Problem bzw. dessen wahre Gestalt kann nur in seiner Beziehung zum Ganzen bzw. in seiner Funktion für das Ganze verstanden werden.

Weitergeführt wurden die Gedanken Wertheimers u.a. von seinem Schüler Rudolf Arnheim. Fritz Perls machte die Gestalttheorie in der Psychologie bekannt. Karlfried Graf Dürckheim griff den Gestaltbegriff in seinem Aufsatz Inbild und Gestalt auf.

In ihrem Buch Das Spiel – Naturgesetze steuern den Zufall greifen Manfred Eigen und Ruth Winkler gleich mehrmals zum Gestaltbegriff. Neu ist ihre Wortschöpfung der Dissipativen Gestalt, d.h.

das >übersummenhafte< Resultat der Überlagerung verschiedener – Rückkopplung einschließender – Einzelprozesse.

Noch immer inspirierend sind Wertheimers Gestaltgesetze.

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