Als ich vor ca. drei Jahren in dem Beitrag Aufbruch nach Eurotopia? mögliche Szenarien der Vereinigten Staaten von Europa durchspielte, war die Lage in Griechenland zwar angespannt, aber nicht so verfahren wie heute. Seitdem ist das Lager der Euroap-Skeptiker, nach meinem Eindruck jedenfalls, gewachsen.
So viel lässt sich festhalten: Einfacher ist es nicht geworden.
Trotzdem gibt es noch immer Stimmen, die in dem heillosen Durcheinander Funken der Hoffnung erblicken, wie der Politologe Stathis Kalyvas, für den Griechenland eine “Erfolgsgeschichte” ist.
Griechenland ist im Vergleich mit ähnlichen Ländern, die aus dem Osmanischen Reich entstanden sind, das wirtschaftlich und politisch erfolgreichste. Das Land war eines der ersten Länder, die nicht zum Kern Westeuropas gehören, das Teil der europäischen Modernisierung wurde. Das ist natürlich noch bei weitem nicht abgeschlossen. Der Prozess ist so kompliziert, dass ein Scheitern in vielen Aspekten dazugehört. Die knapp 200 Jahre seit der Unabhängigkeit sind aber eine überraschende Erfolgsgeschichte.
Die Lage in Griechenland sei nicht nur auf eigene Versäumnisse zurückzuführen:
Griechenland hat in den vergangenen 30 Jahren unter einer sehr schlechten heimischen Politik gelitten, die wurde aber von der EU mit Geldtransfers für schwache Regionen unterstützt, die Verwendung der Gelder wurde nicht gut überwacht. Sonst wäre das nie so lange gutgegangen. Man kann die wirtschaftliche Lage mit jener in Ex-Sowjetländern vergleichen. Diese sind auch sehr geschlossen. Aber im Gegensatz zu vielen Menschen in diesen Ländern verbinden viele Griechen die Jahre der Misswirtschaft mit Wohlstand. Das ist der Grund, warum sich viele gegen Veränderung wehren. Die Krise hat nun die Realität gezeigt.
Klingt zunächst mal einigermaßen plausibel. Jetzt ließe sich noch ein Vergleich mit dem byzantischen Reich und dessen Erbe für das moderne Griechenland anfügen, was den Eindruck relativieren würde. Zusätzlich könnten man Statements von Literaten bringen, die Griechenland – bei aller Sympathie – in einigen Punkten durchaus kritisch sehen, wie Patrick Leigh Fermor.
Damit würden wir jedoch den Fehler begehen, Europas Zukunft allein an Griechenland festzumachen, was bei aller Wertschätzung dann doch übertrieben wäre.
Für den Historiker Jörn Leonhard und den Publizisten Wolfgang Michal hat die Kontroverse um Europas Zukunft etwas Gutes.
Über Europa ist lange nicht so intensiv gesprochen und nachgedacht worden: über die Leistungen – und über die Probleme. Das ist belastend, aber auch hilfreich, wenn daraus die Erkenntnis erwächst, dass wir nicht weitermachen können wie bisher.” Vor allem das Europäische Parlament hat nach seiner Ansicht “ein enormes Potenzial”.
Die Frage bleibt, ob und inwieweit sich ein Kontinent, dessen Erfolge zu weiten Teilen auf seine Dezentralität zurückgeführt werden können, zentralisieren lässt. Jedenfalls ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Europa der Dezentralisierung einiges zu verdanken hat, wie aus dem Beitrag Wie die Dezentralisierung Europa zum Handels- und Produktionszentrum der Welt machte hervorgeht.
Sicher: Ganz auf zentralistische Elemente kann auf Dauer kein Staatswesen verzichten. Nur, wo ist richtige Balance für einen Kontinent der Staaten mit unterschiedlicher Kultur, Geschichte und Mentalität vereinen will, die sich nicht so einfach aufheben lassen, auch nicht durch die Etablierung einer europäischen Öffentlichkeit, die sich an dem Prinzip der Diskurstheorie orientiert – von einer funktionierenden gemeinsamen Währung ganz zu schweigen.