Von Ralf Keuper

Thomas von Aquin war, wie es u.a. in dem hörenswerten Beitrag Thomas von Aquin – Die philosophische Hintertreppe heisst, zeitlebens von dem Wunsch geleitet, nur der Sache zu dienen und sich nicht durch Äußerlichkeiten von seinem Weg abbringen zu lassen.

Zum Entsetzen seiner dem hohen Adel angehörenden  Familie trat Thomas von Aquin den Dominikanern bei, einem streng asketischen Orden. Nur hier glaubte er ein Leben nach dem Evangelium führen zu können.

Dank dieser prägenden Charaktereigenschaften, man könnte auch von Eigensinn sprechen, gelang ihm die Grundlegung der christlichen Theologie und Philosophie; ganz so, wie es sein berühmter Lehrer Albertus Magnus einst prophezeit hatte. Dieser entgegnete den frühen Kritikern, dass Thomas’ Schweigsamkeit ein Ausdruck höchster geistiger Konzentration und nicht ein Zeichen von Einfalt sei.

Die größte Bedrohung für den Theologie des Mittelalters ging von der Philosophie des Aristoteles aus, die zu jener Zeit (wieder-) entdeckt wurde. Aristoteles erfasste mit seiner Philosophie die Welt als Ganzes. Die Wahrheit konnte darin allein mit dem Verstand erkannt werden. Für einen  Offenbarungs-Glauben war darin schlicht kein Bedarf.

Thomas machte es sich zur Aufgabe, die beiden widerstreitenden Ansichten miteinander zu versöhnen, indem er die  Wahrheit des Glaubens beweisen will. Die Synthese gelingt ihm in seinem Hauptwerk “Summe der Theologie”.

Vernunft und Glaube stammen demnach von Gott. Beide kommen in ihrer Wurzel in Gott überein. Vernunft kann nichts lehren, was dem Glauben widerspricht.

Die welthafte Wirklichkeit wird damit für das natürliche Erkennen freigegeben. Darin liegt die eigentliche Neuerung durch Thomas.

Ihm geht es nicht darum, die Dinge in ihrer Mannigfaltigkeit zu analysieren, sondern ihr Wesen zu erkennen.  Die Philosophie denkt Gedanken nach, die Gott mit der Welt hat.  Als Menschen sind wir dazu in der Lage, da wir eine teilhabende Ähnlichkeit mit dem göttlichen Geist besitzen.

Die vollständige Erkenntnis der Wahrheit bleibt uns jedoch verschlossen.

Jeder Wirklichkeitsbereich steht um so höher, je mehr in ihm die Form über den Stoff erhaben ist. Tote Dinge repräsentieren daher den niedrigsten Wirklichkeitsbereich. Danach kommen die Pflanzen, die Tiere und die Menschen. Weit über dem Menschen stehen die reinen körperlosen Geister – die Engel. Über allen erhebt sich jedoch der reine ungeschaffene Geist – Gott.

Wenn die ganze Welt ein Streben von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist, dann muss das höchst Erstrebte die reine Wirklichkeit ohne Möglichkeit sein – und das kann nur Gott sein. Gott muss daher als reiner Geist begriffen werden.

Die endliche Welt kann ihren Grund nicht in sich selbst haben. Alles, was existiert muss eine Ursache haben, die wiederum eine Ursache hat. Die Kette der Ursachen kann aber nicht bis ins Unendliche zurück gehen – die erste Ursache ist Gott.

Vollständiger Erkenntnis kann daher nur der glaube gewähren. Selbst dies ist jedoch keine völlige Einsicht.

Die höchste Kenntnis, zu der wir Menschen fähig sind, besteht darin, zu wissen dass Gott über allem ist, was wir von ihm denken.

Thomas von Aquin bewegt die Denker noch immer.  Vor allem die Vertreter der Christlichen Philosophie, wie Josef Pieper fühlten sich seiner Philosophie sehr verbunden. Von Josef Pieper stammt auch das viel gelobte und zitierte Thomas-Brevier.
Wie wertvoll die Gedanken des Thomas auch heute noch sind bzw. sein können, zeigt Pieper in seinem Buch Über die Tugenden. Klugheit – Gerechtigkeit – Tapferkeit – Maß. Darin heisst es über die Klugheit:

Es gibt falsche und ungerade Wege auch zu richtigen Zielen. Der Sinn der Tugend der Klugheit aber ist vornehmlich dieser: dass nicht nur das Ziel des menschlichen Wirkens, sondern auch der Weg seiner Verwirklichung der Wahrheit der wirklichen Dinge entspreche. Das aber schließt wiederum die Voraussetzung in sich, dass die ichhaften “Interessen” des Subjekts zum Schweigen gebracht sind, damit jene Wahrheit der wirklichen Dinge vernehmlich zu Wort kommen und in der Auskunft der Wirklichkeit selbst der gemäße Weg der Verwirklichung deutlich werden könne. Hingegen liegt der Sinn oder vielmehr der Un-Sinn der Verschlagenheit darin, dass die geschwätzige oder also taube Unsachlichkeit des “Taktierers” den Weg der Verwirklichung abscheidet gegen die Wahrheit der wirklichen Dinge.

So verwundert es kaum, wenn Johannes Hirschberger  der christlichen Philosophie eine günstige Prognose stellt:

Allein man braucht nicht gerade ein Optimist zu sein, um nach dem gegenwärtigen Tief wieder auf ein Hoch hoffen zu können. Man muss nur die Geschichte dieser Philosophie kennen, um zu wissen, dass das Tief überwunden werden wird, nämlich dann, wenn christliche Philosophie sich wieder auf ihre großes Erbe besinnt, das sie seit eh und jeh zusammengehalten hat, auf Platon, Aristoteles, Plotin, Augustinus, Thomas, Bonaventura. (in: Kleine Philosophiegeschichte)

Die Essenz und Stellung der Philosophie des Thomas gut auf den Punkt bringt Rudolf Eucken:

Thomas’ Verdienst ist der Ausbau, die systematische Durchbildung einer allumfassenden christlichen Weltsicht; er hat das Christentum der Kultur der Wissenschaft enger verbunden und bei voller Wahrung der Obmacht der Religion auch den anderen Gebieten ein Recht zuerkannt. … Demnach ist es vollauf verständlich, dass Thomas der Hauptphilosoph des Mittelalters wurde, dass es ihn bald – so zeigen auch die Werke der Malerei – als den klassischen Verkünder der christlichen Wahrheit verehrte. Die Idee der Ordnung, welche das Mittelalter beherrscht, erlangt bei ihm ihren angemessenen philosophischen Ausdruck; es entfaltet sich ein Lebenssystem, das den einzelnen Gebieten mehr Selbständigkeit gewährt und sie doch straff zusammenhält; der Horizont wird beträchtlich erweitert, die Zuführung antiker Gedankenmassen ergibt eine Art Renaissance. Dass Thomas auf der Höhe der damaligen Entwicklung stand, das erweist schon der Anschluss des großen Dante an ihn. (in: Die Lebensanschauungen der großen Denker)

 

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