Von Ralf Keuper
Die Mathematik gilt gemeinhin als das Sinnbild einer exakten Wissenschaft. Die Beweisführung ist hier eindeutig geregelt, und zwar anhand von Maßstäben und Regeln, die, jedenfalls für die wissenschaftliche “Community”, nachvollziehbar und überprüfbar sind. Das dürfte wohl auch einer der Gründe dafür sein, weshalb viele Ökonomen versuchen, ihre Thesen mit mathematischen Formeln zu belegen, was unter den Mathematikern nicht selten Stirnrunzeln auslöst.
Jedenfalls ist das Bild der vorurteilsfreien, objektiven Mathematik ein wenig korrekturbedürftig, wenn man den Beitrag Beweisführung in der Mathematik – Wann ist ein Beweis richtig? auf sich wirken lässt.
Darin geht es um den Beweis der abc-Vermutung, den der japanische Mathematiker Shin’ichi Mochizuki für sich beansprucht. Um aber den Beweis nachprüfen zu können, ist es auch nach Ansicht von Mochizuki nötig, ein halbes Jahr intensives Studium zu investieren. Dazu ist aber nicht nur sein Doktorvater, Gerd Faltings, der bisher einzige deutsche Träger der Fields-Medaille, nicht bereit.
Handelt es sich im Fall Mochizuki um die überspannte Idee eines Mathematikers, der nach Anerkennung sucht, oder um eine wirkliche, bahnbrechende Leistung? Mochizuki ist ein weltweit anerkannter Mathematiker, und damit kein Außenseiter, wie Kurt Heegner, dem der Beweis für das Klassenzahl-1 Problem gelang.
Unter Verweis auf Pierre Bourdieu und dessen Forschungen über die Felder kultureller Produktion sehen Kritiker in der Community der Mathematiker Mechanismen am Werk, die sie blind machen für Ideen, die ihren Vorstellungen zuwider laufen. Ludwik Fleck spricht in dem Zusammenhang von Denkkollektiven, die, ohne dass ihnen das immer bewusst ist, eine Umgebung, ein Feld schaffen, das nur bestimmte Sichtweisen zulässt.
Handelt es sich bei Mochizuki nun um einen zweiten Fall Heegner? Anders als Heegner ist Mochizuki kein Außenseiter. Aber das alleine beweist nicht viel …
Weitere Informationen:
Top-Mathematiker ratlos: Niemand versteht Herrn Mochizuki