Von Ralf Keuper
Er wurde von Golo Mann als der genialste Parlamentarier bezeichnet, den Deutschland je besaß; andere nannten ihn das “Parlamentarische Wunder” – Ludwig Windthorst.
Als überzeugter Katholik, führender Kopf und Redner der Zentrumspartei im Deutschen Reichstag, härtester Widersacher Bismarcks, vertrat Windthorst nicht nur für seine Zeit im besten Sinne liberale Grundsätze. Zwar war für ihn die Religion ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen und politischen Lebens, jedoch ging diese Zuneigung nicht so weit, dafür die Trennung von Kirche und Staat aufzugeben. Stets trat er für die Rechte von Minderheiten und anderer Religionen ein, wie in einer Rede im Reichstag im Jahr 1880:
Ich werde das Recht, welches ich für die Katholiken und für die katholische Kirche und deren Diener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten auch für die Protestanten und nicht minder für die Juden. Ich will eben das Recht für alle.
Besonders eindrücklich schildert Volker Ullrich die Lebensgeschichte des großen Parlamentariers in dem Beitrag Die Kleine Exzellenz. Für nicht minder gelungen halte ich die Rede des damaligen und jetzigen Bundestagspräsidenten, Norbert Lammert, anlässlich des 200. Geburtstages von Windthorst aus dem Jahr 2012 in Osnabrück.
Die folgenden Passagen verdienen m.E. besondere Beachtung:
Meine Damen und Herren, Ludwig Windthorst war, so klein von Gestalt er auch gewesen ist, ein großer Taktiker und gewiefter politischer Stratege. Er hat mit einem unbändigen Elan und der bereits hervorgehobenen souveränen Sturheit die Wahrung von Menschenrechten, insbesondere von Minderheitenrechten, um welche Minderheiten auch immer es sich handelte, gegen preußische Machtansprüche verteidigt, ganz besonders, aber keineswegs ausschließlich die Religionsfreiheit der Katholiken während des sogenannten Kulturkampfes. Er war als Repräsentant der Zentrumspartei zugleich die eindrucksvollste Verkörperung der Eigenständigkeit der Politik auch und gerade gegen kirchliche Bevormundungsversuche. …
Dass Ludwig Windthorst nebenbei nicht nur ein besonders fleißiger, sondern ein mehr als rekordverdächtiger Parlamentarier war, wird in der geradezu unglaublichen Zahl deutlich, dass er in deutschen Parlamenten über 2.200 mal das Wort ergriffen haben soll. Ich habe jetzt nicht mehr die Zeit gehabt nachzuprüfen, ob er – was sicher verdient wäre – damit im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet ist, jedenfalls kann ich mir kaum vorstellen, dass es in der deutschen Parlamentsgeschichte, aber möglicherweise auch anderswo, irgendjemanden gegeben hat, der an diese Zahl heranreichte oder sie gar überböte. …
Ludwig Windthorst war der Debattenredner, der durch kurze präzise Reden und noch präzisere Zwischenrufe die Aufmerksamkeit des Plenums und der Öffentlichkeit erreichte. Und auch, wenn historisch verbürgt ist, dass es einen relativ banalen praktischen Grund dafür gab, will ich eine zweite damit verbundene Eigenschaft ausdrücklich als beachtlich und vorbildlich hervorheben, nämlich die, dass er grundsätzlich nicht vom Rednerpult, sondern von seinem Platz aus gesprochen hat. Der praktische Grund war sehr einfach. Er hatte die Sorge, dass ihn hinter dem Rednerpult niemand mehr sehen könnte und zog es deswegen vor, vom Platz aus zu reden. Bedauerlicherweise haben die meisten heutigen Parlamentarier diese Sorge nicht und laufen mit Fleiß zum Podium und müssen – jedenfalls nach meiner Erfahrung – spätestens auf der Strecke von ihrem Platz zum Pult von dem missionarischen Eifer erwischt werden, nun eine bedeutende Rede halten zu müssen. Darunter leidet der deutsche Parlamentarismus bis heute in einem erheblichen Umfang. Denn in Parlamenten sollen nicht möglichst oft bedeutende Reden gehalten werden, es soll debattiert werden. Und deswegen würde mir eigentlich eine Debattenkultur, wo es kurze präzise Diskussionsbeiträge vom Platz aus gibt, wesentlich besser gefallen, als die Art, wie wir das nun seit vielen Jahrzehnten praktizieren
Auch heute, vielleicht gerade heute wieder, würde Windthorst trotz seiner kleinen Gestalt aus der Menge der Abgeordneten herausragen.
Weitere Informationen:
Ludwig Windthorst: Ein Vorbild für die heutige Jugend