Von Ralf Keuper
Die dreiteilige, ausgesprochen sehenswerte Filmdokumentation Waffen des Fortschritts folgte den Spuren des Evolutionsbiologen Jared Diamond und seiner bahnbrechenden Theorie über die Wurzeln für die Ungleichheit der Menschheit, die er in seinem Buch Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften beschrieben hat.
Anders als die meisten Vertreter der Wirtschaftsgeschichte führt Diamond die Unterschiede zwischen den menschlichen Gesellschaften auf die Geografie und die Kombination aus Waffen, Viren und Stahl zurück. Darin, und nicht in den Menschen selber, liegen die Unterschiede begründet. Zivilisationen in gemäßigten Klimazonen genossen von Beginn an einen enormen Startvorteil, da es ihnen möglich war, Getreide anzubauen und Nutzvieh zu halten. Einmal sesshaft geworden, konnten die Völker der gemäßigten Klimazonen, deren Keimzelle der sog. Fruchtbare Halbmond, das heutige Vorderasien war, Spezialisten für die Entwicklung neuer Verfahren und Technologien abstellen.
Diamond begann seine Forschungen vor mehr als dreißig Jahren in Neuguinea. Dort hatte sich bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts eine Zivilisation erhalten, die über keine Nutztiere verfügte, die als Nahrungsquelle und Arbeitskräfte hätten dienen können. Hinzu kam, dass die Pflanzen nicht, wie bei Getreide, über lange Zeit gelagert werden konnten.
Die Eroberung der alten Reiche der Inka und Atzteken erklärt sich daraus, dass diese Völker über keine vergleichbaren Waffen, Nutztiere wie Pferde sowie Stahl verfügten, die sie gegen die spanischen Eroberer hätten einsetzen können. Den letzten Schlag versetzten ihnen die Viren wie die Pocken, die die Urbevölkerung in Südamerika zu 95% dezimiert haben sollen.
Nach einem ähnlichen Muster verlief später die Kolonisation von Afrika, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Vormarsch hier an der Klimagrenze der Tropen zum Stoppen kam. Grund hierfür waren Viren, gegen die die einheimische Bevölkerung über die Jahrhunderte immun geworden war. Auch betrieb die Urbevölkerung hier erfolgreich Viehzucht und Ackerbau, was den Europäern zunächst nicht gelingen wollte, da sie an den vertrauten und in Europa bewährten Methoden festhielten. Die Tropen kennen nur zwei Jahreswechsel – die Regen – und Trockenzeit – ein Rhythmus, der den Europäern nicht vertraut war, weshalb sie sich an den Flüssen ansiedelten, dort, wo die Moskitos die Malaria epidemisch übertrugen. Das hielt die Europäer, wie die Belgier im Kongo, jedoch nicht davon ab, die Bevölkerung zu vertreiben und zu Arbeitssklaven zu machen, u.a. für den Eisenbahnbau.
Besonders erschütternd für Diamond war der Besuch in Sambia, einem der ärmsten Länder der Welt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 35(!) Jahren. Haupttodesursache, insbesondere für Kinder unter fünf Jahren, ist Malaria. Die Malaria ist verantwortlich für die rückläufige Bevölkerung des afrikanischen Kontinents.
Trotzdem ist Diamond überzeugt, dass Afrika nicht verloren ist. So hatten Malaysia und Singapur noch vor wenigen Jahrzehnten dieselben Probleme. Erst als sie sich bewusst wurden, welch große Bedeutung die Geographie und das Klima für das Leben der Bevölkerung hat, konnten sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen, um die Malaria in den Griff und fast zum vollständigen Verschwinden zu bringen. Mittlerweile hat die Sambische Regierung die Erfahrungen von Malaysia und Singapur aufgegriffen.
Am 11.06.2012 berichtete die Zeitung Die Presse, dass Diamonds Hypothese, wonach Kontinente, die sich in West-Ost-Richtung erstrecken gegenüber den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden eindeutig im Vorteil sind, bestätigt wurde.