Heute ist uns eine Bewusstseinsstufe zugänglich, auf der die historische Naivität derer, die ihren eigenen Standpunkt mit der absoluten Wahrheit gleichsetzen, verdampfen muss. Haben wir diesmal verstanden, so sind wir nicht schlechter dran, denn man wird von niemandem erwarten, dass er seine Urteile auf etwas anderes stützt als aus das, was er wissen kann. Wir begreifen nun nur unsere Aufgabe der ständigen Selbstkorrektur besser als zuvor. Sind wir freilich Philosophen, so werden wir uns fragen, ob wir einen Begriff von Wahrheit haben, der dieser Bewusstseinsstufe entspricht. Eine Philosophie, die leisten will, was diese Bewusstseinsstufe verlangt, wird vermutlich den Kreis der gegenseitigen Abhängigkeit unserer Begriffe mehrmals durchlaufen müssen … Aber man darf die Analyse nicht vernachlässigen, und ich würde mich keiner weiteren Analyse der Geschichte gewachsen fühlen, wenn ich nicht zuvor die Begriffe unserer Wissenschaft, die Instrumente in der Werkstatt der modernen Rationalität, kritisch geprüft hätte.

Quelle: C.F. von Weizsäcker: Die Tragweite der Wissenschaft 

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