Von Ralf Keuper

An Otto von Bismarck haben sich ganze Generationen von Historikern abgearbeitet. Zu den bekanntesten Biografien über den Eisernen Kanzler zählen die aus der Feder von Hans-Ulrich Wehler und Jonathan Steinberg.

Trotzdem scheint es noch immer weiße Flecken zu geben, die eine tiefere Analyse zu erfordern scheinen, die wiederum Anlass für die Verfassung einer weiteren Biografie sind, wie die aktuelle von Christoph Nonn.

Nonn präsentiert Bismarck nicht als einsames politisches Genie, sondern sieht in ihm nur den Geburtshelfer der Geschichte. Nicht also habe Bismarck Geschichte gemacht, sondern ihr lediglich assistiert. Überhaupt falle die Bilanz Bismarcks, insbesondere was die Innenpolitik angeht, recht bescheiden aus.

In der Süddeutschen Zeitung vom 20. Februar ist Stephan Speicher in Kein Genie durchaus geneigt, einigen der Thesen Nonns zu folgen bzw. ihnen eine gewisse Berechtigung zu bescheinigen. Die Gefolgschaft verweigert Speicher allerdings, wenn Nonn zu spekulativ argumentiert, z.B. was Bismarcks Staatsstreich-Pläne betrifft und sein Ziel, den Parlamentarismus über kurz oder lang abzuschaffen. Das geht Speicher dann doch zu weit, weshalb er zum Schluss seiner Besprechung schreibt:

Bismarck, so Nonn, war kein Genie, “stets eine Hebamme historischer Ereignisse”. Aber ist die Hebammenkunst nicht in der Politik das Größte – alles, was darüber hinausgreift, schon Weltinbrandsetzung?

Nicht allein in der Politik ist die Hebammenkunst von unschätzbarem Wert. Auch der eigentliche Begründer der westlichen Philosophie, Sokrates, war für seine Mäeutik bekannt und z.T. auch gefürchtet.

Die Geschichte nahm dann eine dramatische Wendung, wenn Politiker oder Herrscher, wie Napoleon oder Hitler, glaubten, die Geschichte in ihrem Sinne formen zu können. Häufig waren Philosophen nur allzu gern bereit, die Größe, das Genie des Mannes ins Metaphysische zu überhöhen, wie Hegel, der in Napoleon auf dem Pferd den Weltgeist am Werke zu sehen meinte, oder Heidegger, der in seiner berüchtigten Rektoratsrede den “Führer” als Erlöser des deutschen Volkes feierte.

Dann doch lieber eine Nummer kleiner.

Was immer man gegen Bismarck sagen kann, Augenmaß hatte er.

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