Von Ralf Keuper

Wohl jeder Berufsstand bildet mit der Zeit sprachliche Gewohnheiten heraus, die für Außenstehende nur schwer verständlich sind. Genannt sei der Ärztestand, der schon berüchtigt für seine schwer leserlichen, häufig ins Fachlatein abgleitenden Befunde ist. Ähnliches gilt für die Juristen, und auch im Handwerk bedient man sich spezieller Begriffe und Redewendungen. Warum also sollen Berater nicht auch ihren eigenen Sprachstil entwickeln?

Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden.

So haben die Berater eine Sprache kreiert, die gemeinhin als „Beratersprech“ tituliert wird; ein schwer verdauliches Gemisch aus Anglizsmen und Phrasen, die von fast allen Angehörigen dieses Berufsstandes wie im Schlaf beherrscht werden. Novizen erlernen die Sprache, sofern sie sie nicht schon während des Studiums aufgesogen haben, binnen kürzester Zeit. Und so verwundert es dann auch nicht mehr, wenn man bei einem Blick in die diversen Beiträge aus der Hand von Beratern auf dieselben Textbausteine und Schablonen stösst. Schon gleich nach der Problemschilderung, die manchmal sogar erste Ansätze eigenständigen Denkens erkennen lässt, greift der Autor, die Autorin auf die bewährten Bausteine zurück. Fortan ist die Rede von Kostensenkungen, die dringend zur Sicherung oder Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich seien, wie überhaupt die gesamten Prozesse auf den Prüfstand gehören, und, so noch nicht erfolgt, standardisiert werden müssen. Nur auf diese Weise, durch Normierung, könne die Organisation agil auf das sich verändernde Marktumfeld reagieren. Wieso gerade Standardisierung und Vereinheitlichung eine Organisation agiler machen und – nicht zu vergessen – zu bahnbrechenden Innovationen ermutigen soll, bleibt ein Rätsel – nicht nur der Wissenschaft, sondern wohl auch der Lebenspraxis. Ein Gemisch wirrer, sich widersprechender Gedanken, die einen Denkstil offen legen, für dessen Erwerb ein Studium, ganz gleich ob als Bachelor oder Master, reine Zeit- und Geldverschwendung – kurzum: in hohem Maß ineffizient ist.

Freilich: Einheitsdenken und Denkkollektive gibt es auch unter philosophischen, ökonomischen und historischen Schulen (von den sog. Qualitätsmedien ganz zu schweigen), man denke nur an die Heideggerianer und Hegelianer. Im Vergleich dazu sind die aus der Anwendung von Beratersprech resultierenden Kollateralschäden, selbst wenn die Ratschläge in die Praxis umgesetzt werden, noch moderat. Das entbindet die Zunft jedoch nicht davon, ein reflexives Verhältnis zur eigenen Sprach- und Denkweise zu entwickeln. Wie anders will man zu für den Kunden wertvollen Einsichten und Ratschlägen gelangen? Ohne originäres Denken ist keine wirkliche Innovation möglich. Darüber können auch seitenlange Abhandlungen, welche den Lesern bzw. den potenziellen Kunden die Vorzüge von Innovationen nahe bringen wollen, nichts ändern, zumal dann, wenn sie alle dieselbe Schablone verwenden.

Ein Phänomen, das so neu nicht ist. So beklagte Walther Rathenau, dem selbst der Ruf vorauseilte, ein Denkautomat zu sein, in seiner Schrift „Von den kommenden Dingen“ im Jahr 1916:

Schon heute, zunächst in Politik und Wirtschaft, sodann in Technik und Wissenschaft, übermüdet das Überangebot intelligenter, versagt der Bestand intuitiver und charaktervoller Kräfte. Der Intellekt beginnt selbstverständliche Voraussetzung zu werden, wirksam bleibt nur die Erhöhung, die ihm durch die edlere Komponente zuteil wird. Es treten die angeborenen Kargheiten der Intelligenz zutage; die unerträgliche Ähnlichkeit alles dessen, was gedacht und getan wird, im Größten wie im Kleinsten, ebnet die Bahn für unerhörten Vorsprung Dessen, der Pelion auf Ossa türmt, der die Kraft des Verstandes durch Intuition überhöht.

Weitere Informationen:

Die sinnlosen Bullet-Point-Plantagen des Managements – Leere in Wissenschaft und Wirtschaft

 

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