Das Wort Synergetik stammt aus dem Griechischen, .., und bedeutet so viel wie “Lehre vom Zusammenwirken”. Wir wollen uns mit ihr fragen, ob es nicht trotz der Fülle verschiedenartigster Strukturen, die in der Natur auftreten, möglich ist, einheitliche Grundgesetze aufzufinden, aus denen heraus wir verstehen können, wie Strukturen zustande kommen. …

Die Vorgänge der Strukturbildung laufen irgendwie zwangsläufig in bestimmter Richtung, aber keineswegs so, wie es die Wärmelehre voraussagte, keineswegs eben in eine immer größer werdende Unordnung. Ganz im Gegenteil werden auch noch ungeordnete Teilsysteme in den bestehenden Ordnungszustand hineingezogen und in ihrem Verhalten von ihm versklavt. Diese Zwangsläufigkeit der Entstehung von Ordnung aus dem Chaos ist, .., weitgehend unabhängig vom materiellen Substrat, auf dem sich die Vorgänge abspielen. Ein Laser kann sich in diesem Sinne ganz genauso wie eine Wolkenformation oder eine Zellansammlung verhalten. Offensichtlich haben wir es mit einem einheitlichen Phänomen zu tun. Das legt uns nahe, dass derartige Gesetzmäßigkeiten auch im nichtmateriellen Bereich anzutreffen sind. Hierzu gehört z.B. in der Soziologie das Verhalten ganzer Gruppen, die sich plötzlich einer neuartigen Idee zu unterwerfen scheinen, etwa der Mode, oder geistigen Strömungen der Kultur, einer neuen Richtung in der Malkunst oder einer neuen Stilrichtung in der Literatur. …

In diesem Sinne kann die Synergetik als eine Wissenschaft vom geordneten, selbstorganisierten, kollektiven Verhalten angesehen werden, wobei dieses Verhalten allgemeinen Gesetzen unterliegt. Wenn eine Wissenschaft Aussagen von großer Allgemeingültigkeit macht, so hat dies zugleich auch seine Konsequenzen. Die Synergetik erstreckt sich auf ganz verschiedene Disziplinen, wie etwa Physik, Chemie, Biologie, aber auch Soziologie und Ökonomie. Aus diesem Grund werden wir erwarten, dass die von der Synergetik beschriebenen und entdeckten Gesetzmäßigkeiten mehr oder minder verborgen in verschiedenen Disziplinen schon vertreten sind. …

Wie nun die Synergetik zeigt, wird uns bei komplexen Systemen die “relevante Information”, der Gesamtzusammenhang, durch die Ordner geliefert, die gerade dann besonders deutlich in Erscheinung treten, wenn sich das makroskopische Verhalten der Systeme ändert. Im allgemeinen sind diese Ordner die langlebigen Größen, die die kurzlebigen versklaven. ..Wenn dort, wo Ordnung aus dem Chaos entsteht oder eine Ordnung in eine neue übergeht, so allgemeine Grundsätze gelten, dann muss diesen Vorgängen zugleich ein bestimmter Automatismus anhaften. Wenn wir diese Gesetzmäßigkeiten auch im wirtschaftlichen, soziologischen oder politischen Bereich zu erkennen lernen, wird es uns leichter, mit Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden. Wir erkennen z.B., dass eine gegen uns gerichtete Haltung anderer nicht auf einer Verschwörung gegen uns beruht, sondern die anderen Menschen aufgrund bestimmter kollektiver Verhaltensweisen so handeln, ja sogar handeln müssen. …

Die Synergetik gibt durch ihre Untersuchung kollektiver Effekte auch eine Antwort darauf, warum Diktaturen so stabil sind, obwohl das für die meisten in einem demokratischen Land lebenden Bürger völlig unverständlich ist. Die Antwort liegt in der sich selbst stabilisierenden Wirkung eines großen Systems. Damit der betreffende Ordnungszustand zusammenbricht, müssten eben gleichzeitig alle oder ein sehr großer Teil der Bürger aus dem sogenannten Ordnungszustand der Diktatur ausbrechen. Aber weil Diktaturen die Kommunikationsmöglichkeiten unter den einzelnen Mitgliedern so stark eingeschränkt haben und kontrollieren, können die Mitglieder nur jeweils unabhängig voneinander Ausbruchsversuche unternehmen, die scheitern müssen, weil die anderen Mitglieder der Gesellschaft gerade in diesem Moment an dem alten System festhalten oder aber in die verschiedensten Richtungen drängen und sich so in ihren Handlungen gegenseitig im Wege sind.

Die Gedanken, die Hermann Haken in seinem Buch Erfolgsgeheimnis der Natur. Synergetik. Die Lehre vom Zusammenwirken niedergeschrieben hat und dem die zitierten Passagen entstammen, ähneln denen von Friedrich Cramer in dessen Buch Symphonie des Lebendigen. Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie.

Die Frage ist nun, ob und inwieweit die Schlussfolgerungen Hakens zulässig sind und empirischen Gehalt für sich beanspruchen können, insbesondere im gesellschaftlichen Bereich. Ein Kritikpunkt, der von verschiedenen Seiten gegen die Synergetik formuliert wird. In den meisten Fällen handelt es sich um Analogien und Argumente, die eine gewisse Plausibilität haben.

Trotz dieser Defizite lohnt sich die Beschäftigung mit der Synergetik, da sie zu einem besseren Verständnis von Situationen, Problemstellungen und Konstellationen beitragen kann – nicht mehr und nicht weniger.

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