Von Ralf Keuper 

Es stimmt schon: Mittlerweile wird der Begriff Digitalisierung für so ziemlich alles verwendet, was man mit der herkömmlichen Terminologie nicht mehr ausreichend genug bezeichnen zu können glaubt. Das beginnt mit den “Digital Natives” über “Digitale Währungen”, “Digitale Medien” und “Digitalen Geschäftsmodellen” bis hin zu “Digital Humanities”. Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Der Eindruck entsteht, bei der Digitalisierung handele es sich um ein völlig neues Phänomen ist, das quasi über Nacht vom Himmel viel und uns seitdem nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Dahinter verbirgt sich m.E. eine vorwiegend reduktionistische Sichtweise im Sinne von “Nichts anderes als”. Dabei ist es fast schon unerheblich, ob es sich um einen klassischen oder einen “holistischen Reduktionismus” (Tor Norretranders, P.W. Anderson) handelt.

Viktor E. Frankl sah einen direkten Zusammenhang zwischen Nihilismus und Reduktionismus:

Dem gelehrten Nihilismus, wie er im Reduktionismus zum Ausdruck kommt, steht der gelebte Nihilismus gegenüber, als der sich das existenzielle Vakuum interpretieren ließe. Es handelt sich um das Erlebnis der inneren Leere, um das Gefühl einer abgründigen Sinnlosigkeit .. Dem existenziellen Vakuum arbeitet nun der Reduktionismus mit seiner Tendenz, den Menschen zu reifizieren, zu versachlichen und zu entpersönlichen, in die Hände. (in: Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn)

Dabei haben das Thema, wenngleich nicht unter dem Begriff, bereits die antiken Philosophen wie Demokrit und die Pythagoreer in ihren Schriften behandelt. Die, wenn man so will, analoge Sicht wurde dagegen von Parmenides und Zenon vertreten. Im Grunde also ein altes Thema.

Die Geburtsstätten der Digitalisierung, wie wir sie heute in erster Linie verstehen, lagen, wie George Dyson in Turings Kathedrale. Die Ursprünge des digitalen Zeitalters schreibt, in Princeton im legendären Institute of Adavanced Study (IAS) und in der University of Pennsylvania. Geburtshelfer waren John von Neumann, der eine äußerst seltene Kombination eines mathematischen Genies und herausragenden Wissenschaftsmanagers war, und die Konstrukteure und eigentlichen Erfinder des ersten Röhrencomputers, ENIAC, J. Presper Eckert und John Mauchly. Noch heute wird über die Frage gestritten, wer der eigentliche “Vater” von ENIAC und seinem Nachfolgemodell EDVAC ist. Unbestritten ist dagegen von Neumanns Urheberschaft im Fall des IAS-Computers, dem ersten elektronischen Computer.

In einem Zeitalter, in dem so ziemlich alles messbar gemacht wird, ist es nicht verwunderlich, wenn der Begriff der Digitalisierung inflationär verwendet wird. Zu kurz kommen dabei, wie von Viktor E. Frankl angedeutet, Fragen nach der Existenz, dem Sinn wie überhaupt die Transzendenz, wie Hubert Burda, und einige Zeit vor ihm Hans-Peter Dürr u.a., nicht zu Unrecht in seinem Beitrag Wie Medien sich ändern einwirft.

Als natürlicher Gegenpart der digitalen Weltsicht gilt die analoge Welterfahrung. Schon erscheinen die ersten Bücher, die der digitalen die analoge Revolution entgegen halten, oder besser: zur Seite stellen, wie Die analoge Revolution. Wenn Technik lebendig wird und die Natur mit dem Internet verschmilzt von Christian Schwägerl. Laut Klappentext geht es bei der “analogen Revolution” darum, “die Macht über Daten demokratisch zu verteilen und Menschen mit der ganzen Fülle des Lebens auf der Erde zu verbinden”.

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