Von Ralf Keuper

Die Beziehung zwischen dem Zentrum und der Peripherie ist auf den ersten Blick eine von Über- und Unterordnung. Das Zentrum wird für gewöhnlich mit Macht, Dynamik, Pluralität und Kreativität gleichgesetzt, wohingegen die Peripherie als rückständig gilt; seine Anziehungskraft bezieht es aus seiner Eigenschaft als Zufluchts- bzw. Erholungsort.

Noch immer wird die Beziehung Zentrum-Peripherie vorwiegend räumlich interpretiert:

Auf der nationalstaatlichen Ebene bestehen solche Abhängigkeitsbeziehungen insbesondere zwischen Städten (Zentren) und benachbarten Regionen, meist ländlichen Räumen. Zentrum-Peripherie-Modelle werden daher insbesondere zur Erklärung räumlicher Disparitäten herangezogen. (in: Zentrum-Peripherie-Modell)

Diese Auffassung liegt auch den klassischen Theorien der Wirtschaftsgeografie zu Grunde, wie denen von Christaller (System der zentralen Orte) und Thünen (Thünensche Ringe).

Im Gegensatz dazu steht für Niklas Luhmann die Frage der Kommunikation und Anschlussfähigkeit im Vordergrund:

Wichtig für Luhmann ist nicht der messbare Raum zwischen Mitte und Rand, sondern die von dieser Differenz geprägte Anschlussfähigkeit und Komplexität der Kommunikation, die im Zentrum anders sind als an seiner Peripherie (in: Anmerkungen zur Differenz von Zentrum und Peripherie)

Weiterhin gilt:

Distanz vom Zentrum zählt als Nachteil aber nur, solange man nicht von Interaktion auf Kommunikation umsteigen kann (ebd.).

Anders wiederum der Staatsrechtler Carl Schmitt, der, laut Niels Werber, in einer Schrift aus dem Jahr 1941 die Idee des Netzwerkes vorwegnahm:

Die Grenze ist keine Linie auf einer Landkarte. Peripherien können entsprechend als „Leistungsraum“ gedeutet werden, der aus bestimmten Operationen, Techniken und Praktiken hervorgeht. Nicht die Dinge werden im Cartesischen Raum platziert, sondern sie bringen als Agenten kollaborativ einen spezifischen Raum hervor (ebd.).

Eine andere Interpretation liefert Eduard Glissant in seinem Archipelischen Denken:

Für Glissant ist die Insel eine Metapher für die Neuformulierung unseres Raumdenkens – sie steht sinngemäß für das Verständnis von Raum als etwas Grenzenlosem. Konzeptionell ist die Insel also nicht eine fixe, losgelöste, isolierte Einheit, sondern steht vielmehr in zweifachen Abweichungs- und Umkehrungsprozessen: Sie streckt sich unbegrenzt in verschiedene Beziehungsrichtungen nach außen aus, zugleich kehrt sie sich zur Hinterfragung des eigenen Selbst und der Selbsterkenntnis nach innen. Das ist Glissants Vorstellung von archipelischem Denken: die Fähigkeit, die Insel zu sehen und sich zugleich ihrer Verbindung zu etwas wesentlich Größerem bewusst zu sein, der Beziehung zu einer Gruppe von Inseln, als Bindeglied zu einem Archipel (in: Die Welt als Archipel).

Von Immanuel Wallerstein stammt die Theorie des Weltsystems, worin er den Begriff der  Semi-Peripherie einführte:

Nach Wallerstein gliedert sich die Gesellschaft in den Kern/das Zentrum, die Semi-Peripherie und die Peripherie. Er betrachtet die gesamte Welt, die nach ihm aus einem arbeitsteiligen Netz ökonomischer Tauschbeziehung besteht und dadurch verbunden ist.

In den vergangenen Jahren war im Verlauf der Diskussion um die Staatschuldenkrise häufig von den Ländern der Peripherie in der EU die Rede, womit in erster Linie Portugal und Griechenland gemeint waren. Als Ziel wird die Angleichung der Lebensverhältnisse sowie der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen der Peripherie (Portugal, Griechenland) und dem Zentrum (Frankreich, Deutschland) angepeilt.

Weitere Beispiele von Randlagen und Peripherien in Europas Geschichte sind der „keltische Rand“ und der „muslimische Rand“ wie in Zentrum und Peripherie in Europa aus historischer Perspektive nachzulesen ist.

Nicht selten werden der Peripherie schöpferische Kräfte nachgesagt. Beispielsweise sprach Egon Friedell  von der Schöpferischen Peripherie. Das Zentrum für Peripherie (ein  – kreativer – Widerspruch sich) wirbt mit dem Spruch

Jede Avantgarde kommt aus der Peripherie.

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