.. anders als der Augenschein es will, ist die befreiende Kraft der Sozialwissenschaft um so größer, je mehr an der Notwendigkeit sie wahrnimmt und je besser sie die Gesetzmäßigkeiten der sozialen Welt erkennt. Jeder Fortschritt in der Erkenntnis der Notwendigkeit ist ein Fortschritt in der möglichen Freiheit. Wohingegen des Nichterkennen, das Verkennen der Notwendigkeit eine Form der Anerkennung der Notwendigkeit beinhaltet, und vermutlich die absoluteste, die totalste, wie sie von sich selbst absieht. Die Erkenntnis der Notwendigkeit impliziert dagegen keineswegs die Notwendigkeit dieser Anerkennung. Im Gegenteil: Sie macht die Möglichkeit von Wahlentscheidungen sichtbar, die in jeder Beziehung des Typs: wenn man das hat, dann wird man das haben, enthalten ist: Die Freiheit, die in der Wahl besteht, das wenn zu akzeptieren oder aber abzulehnen, ist solange sinnlos, solange man die Beziehung nicht kennt, die zwischen diesem wenn und einem dann vorliegt. Die Offenlegung der Gesetzmäßigkeiten, die das laisser-aller (das heisst die unbewusste Anerkennung der Bedingungen der Realisierung der vorausgesehenen Effekte) voraussetzen, erweitert den Bereich Freiheit. Ein unerkanntes Gesetz ist wie Natur, ist Schicksal; ein erkanntes Gesetz erscheint als Möglichkeit von Freiheit.

Quelle: Pierre Bourdieu: Soziologische Fragen

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