Von Ralf Keuper Seit einigen Jahren erfreut sich in Wirtschaft und Politik ein Begriff wachsender Beliebtheit, der immer dann zitiert wird, wenn es darum geht, ein eher hemdsärmeliges, vorgeblich an praktischen Lösungen orientiertes, Vorgehen zu rechtfertigen – die Rede ist vom Pragmatismus. Kaum ein Wirtschaftsführer, Politiker oder Berater, der nicht hervorhebt, Probleme pragmatisch anzupacken, was gleichbedeutend damit ist, nicht theoretisch und schon gar nicht idealistisch vorzugehen – wo kämen wir dahin? Die Welt ist schließlich kein Debattierclub!, wie der unvergessene Alfred Herrhausen und der Philosoph Helmut F. Spinner bereits vor Jahren von sich gaben.
Ob allerdings Alfred Herrhausen die aktuelle Begeisterung für den Pragmatismus teilen würde, darf zumindest bezweifelt werden.
Jetzt zu folgern, der Pragmatismus sei rundweg abzulehnen und als typisch amerikanische Philosophie für kontinentaleuropäische Probleme nicht geeignet, wird dieser Denkrichtung bei weitem nicht gerecht. Nur gilt es den Pragmatismus vor Freunden zu schützen, denen vielleicht nicht immer bewusst ist, dass sich dahinter eine Theorie verbirgt.
Anfang des vergangenen Jahrhunderts noch konnte der Philosoph Rudolf Eucken, Vater des Nationalökonomen Walter Eucken, sagen:
Der Pragmatismus hat neuerdings auch in Deutschland Beachtung gefunden, ohne aber hier so viel Bewegung hervorzurufen wie bei verschiedenen anderen Völkern“. (in: Geistige Strömungen der Gegenwart)
Das hat sich grundlegend gewandelt. Woraus der Pragmatismus seine Anziehungskraft schöpft, wird deutlich, wenn man einige Aussagen eines seiner Hauptvertreter, William James, auf sich wirken lässt:
.. bei uns liegt der Nachdruck im Resultat, im Ergebnis, im >terminus ad quem<. Entscheidend ist nicht das Woher, sondern das Wohin. Es kommt einem Empiristen nicht darauf an, woher eine Hypothese, der er findet, stammt; mag er sie mit guten oder bösen Mitteln erworben haben, mag sein Gefühl sie ihm zugeflüstert, mag der Zufall sie ihm an die Hand gegeben haben: – wenn die Gesamtströmung des Denkens sie fortwährend bestätigt, so ist es dies, was er meint, indem er sie wahr nennt“. (in: Pragmatismus. Ausgewählte Texte von Ch. S. Peirce, W. James, F.C.S Schiller und J. Dewey)
Da klingt sie durch, die zupackende, direkte Art, die den Amerikanern noch immer gerne unterstellt wird, nicht immer ohne Grund und längst nicht immer ist sie ungeeignet. Ein gewisser Hang zum Opportunismus ist allerdings nicht zu übersehen, weshalb der Pragmatismus sich von verschiedenen Seiten heftige Kritik, u.a. von Rudolf Eucken und Bertrand Russell, bis Ablehnung zugezogen hat. So äußerte sich Rudolf Eucken:
Der Pragmatismus macht namentlich deshalb einen so starken Eindruck, weil er die gewöhnliche Betrachtungsweise umkehrt; es fragt sich nur, ob er damit nicht den Begriff der Wahrheit zerstört. Das eben ist dem Wahrheitsbegriffe wesentlich, und das ist die bewegende Seele des Wahrheitsstrebens, dass der Mensch dabei etwas erreicht, was jenseits aller bloßen Meinungen und Neigungen liegt, was unabhängig von menschlicher Zustimmung gilt. (ebd.)
Nun lässt sich der Pragmatismus nicht auf William James reduzieren. Häufig sogar widersprechen sich seine führenden Vertreter. Als eigentlicher Begründer gilt ohnehin Charles Saunders Peirce, der auch als der bedeutendste amerikanische Philosoph gilt.
Das eigentliche Problem in der häufigen Verwendung des Begriffs liegt darin, dass er häufig für eine Vorgehensweise herhalten muss, die man auch als Denkfaulheit bezeichnen könnte. Probleme pragmatisch „anzupacken“, ohne sich weitere Gedanken über deren Abhängigkeiten mit anderen Bereichen zu machen und ohne sich einen Überblick verschafft zu haben, einfach so „drauf los“ zu agieren, führt häufig zu deren Vergrößerung. Pläne müssen immer wieder umgeworfen, Fehler korrigiert werden, die man mit etwas Überlegung und Abstand und unter Berücksichtigung vorhandener Informationen häufig hätte vermeiden können, dann aber mit großem Aufwand aus der Welt geschafft werden müssen. Hauptargument ist dabei fast immer der Hinweis, die Zeit reiche leider nicht für eine tiefergehende Beschäftigung. Dass aber das Hau-Ruck-Verfahren zu einem deutlich höheren Aufwand führt, dieser Widerspruch fällt nur selten auf. Erstaunlicherweise ist dann immer genügend Zeit für nachträgliche Korrekturen vorhanden.
Nicht umsonst sagte Alfred Herrhausen einmal:
Die meiste Zeit geht dadurch verloren, dass man nicht zu Ende denkt.
Die Begeisterung hierzulande für alles, was pragmatisch klingt oder sich als solches ausgibt, erinnert an die Begeisterung für die japanischen Management-Modelle der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Inzwischen muss selbst Toyota zur Kenntnis nehmen, dass Total Quality Management ins Extrem gewendet zu massiven Problemen führen kann. Dass in Japan die 90er Jahre ohnehin als das verlorene Jahrzehnt bezeichnet werden, sei nur am Rande erwähnt.
Der Pragmatismus ebenso wie das Total Quality Management sind Produkte ihrer Umgebung. Versucht man deren Grundideen unreflektiert auf andere Kulturkreise zu übertragen, kann das nur zu Problemen führen. Hinter dem Pragmatismus verbirgt sich eine Theorie, die alles andere als trivial ist. Zumindest dann, wenn man ihrem eigentlichen Begründer, Charles Peirce, folgt:
Das wissen um uns selbst, insofern wir nachdenken, uns erinnern, planen, vollzieht sich in Sinnzusammenhängen, die >niemals< auf einzelne innere Tatsachen und Ereignisse reduzierbar sind: Die intensionale Struktur der Prozesse greift über das einzelne innere oder äußere Ereignis hinaus. Wir wissen mithin unmittelbar nur, was es heißt, etwas zu denken und zu erwägen, weil unser gegenwärtiges Denken eine konkrete, uns gegenwärtige Gestalt hat, die es als Teil eines umfassenden Gefüges von Prozessen hervorhebt.“ (in: Der dramatische Reichtum der konkreten Welt. Der Ursprung des Pragmatismus im Denken von Charles S. Peirce und William James)
In der Praxis wird häufig der Fehler begangen, einzelne Tatsachen und Ereignisse losgelöst von den näheren Zusammenhängen zu behandeln. Kein Wunder, dass Entscheidungen dann nur noch ad hoc gefällt werden, um kurze Zeit später ad hoc korrigiert zu werden. Mit Pragmatismus und pragmatisch hat das, zumindest im Sinne der Erfinder, gleichwohl nichts zu tun.
Davon weitgehend unbenommen ist die Frage, ob und inwieweit der Pragmatismus einer Gesellschaft als Kompass in moralischen Angelegenheiten dienen kann.
10 Gedanken zu „Modernes Management: Auf pragmatische Weise chaotisch?“
Toller Beitrag, der mich zum Nachdenken gebracht hat.
Pragmatismus ist für mich zunächst etwas Positives. Beim Lesen ist mir klar geworden, dass sich hinter Aktionismus oft Pseudo-Pragmatismus verbirgt. Das Problem ist, dass Pseudo-Pragmatiker durch ihren ständigen Aktionismus den Eindruck erwecken, sie seien die Einzigen, die in der Lage sind, ein Problem zu lösen. Dabei lösen sie nur Probleme, die es ohne ihr unüberlegtes Handeln gar nicht gäbe und sie stiften dabei regelmäßig ein heilloses Durcheinander.
Leider ist es gar nicht so einfach, gewieften Pseudo-Pragmatikern das Handwerk zu legen. Wenn sich mehrere Pseudo-Pragmatiker in Machtpositionen zu einer informellen Seilschaft zusammentun, kann es sogar fast unmöglich sein, ihrem Unwesen ein Ende zu bereiten.
Vielen Dank für den Beitrag, der mich wiederum zum Nachdenken anregt.
Es ist wirklich nicht einfach, aktionistischen Pragmatikern das Handwerk zu legen, da sie ja – nach außen hin – so unglaublich aktiv sind. Dass dabei häufig nicht viel heraus kommt, fällt u.a. deshalb nicht auf, da, wie schon gesagt, die Personen im näheren Umfeld es genau so halten und/oder die nächste Beförderung schon erfolgt ist. Die Aufräumarbeiten kann dann ein anderer erledigen, der es dann womöglich ähnlich hält …
Vielen Dank für die Antwort und die weiterführenden Hinweise.
Was mir noch durch den Kopf ging und mir wichtig erscheint, ist, dass das Verhalten der Pseudopragmatiker bzw. der aktionistischen Pragmatiker durchaus rational begründet werden kann.
Man muss ihnen unterstellen, dass sie vorschnell und unüberlegt handeln, weil ihnen das als die beste Handlungsoption erscheint. Entweder fehlt ihnen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ein Problem strukturiert anzugehen, oder sie sind tatsächlich nicht in der Lage das Problem zu durchdenken. Möglich ist auch, dass sie schlicht keine Motivation haben, dass Problem bestmöglich zu lösen. Was auch immer der Grund für ihr Verhalten ist, jedenfalls denken sie, dass sie damit für sich persönlich das Beste herausholen können, weil sie durch den Aktionismus die eigene Unsicherheit überspielen, von der eigenen Inkompetenz ablenken oder die eigene Motivationslosigkeit verbergen können.
Strategisch ist das ziemlich klug, weil sie das "Spiel" dadurch so sehr beschleunigen und verkomplizieren, dass sie zumindest nicht als Verlierer und oft sogar als Gewinner vom Platz gehen…
Das trifft es sehr gut. Der Begriff Spiel gefällt mir. Jedes Spiel wie auch jedes System hat Profiteure, die daran interessiert sind, dass alles so bleibt wie es ist. Problematisch wird es nur dann, wenn das Spiel/System kollabiert, z.B. ein Unternehmen in die Existenzkrise gerät. …
Für den Fall, dass der Kollaps droht, bietet sich als Ausweg, und um das Spiel am Laufen zu halten, nicht selten eine Fusion an 🙂 Dann geht es in die nächste Runde. Neues Spiel sozusagen. ..
Externes Wachstum durch Zusammenschlüsse scheint vor diesem Hintergrund dann auch nicht nur als ein egomanisches Projekt des Unternehmensführers sondern als der ultimative "Game Changer", der vom bisherigen Versagen weitestmöglich ablenken soll. Dafür wird dann sogar in Kauf genommen, dass man seine Stelle räumen muss, weil sich die Führungsebene im neuen Unternehmen möglicherweise neu formieren wird. Der gewiefte Stratege, der noch nicht alles gegen die Wand gefahren hat, wird freilich auch hier die Oberhand bewahren und sein System des aktionistischen Managements ins neue Unternehmen überführen.
Ich würde aber gerne nochmals auf das "Spiel" zurückkommen. Die Problematik, die wir hier diskutieren, ordne ich als Organisationsversagen ein: Es gibt offenbar Spieler, die so viel Macht haben, dass man sie nicht mal dann vom Platz nehmen kann, wenn sie die eigenen Interessen dauerhaft ganz offensichtlich über die der eigenen Mannschaft, sprich des Unternehmens, stellen. Wenn so etwas nicht abgestellt werden kann, ist das doch schlicht und einfach ein Zeichen von schlechter Governance und das Hauptproblem ist im Rahmen der Agency-Theorie doch auch ausreichend erforscht, oder?
Ich denke übrigens, dass das Problem des aktionistischen Pseudo-Pragmatismus nicht auf private Unternehmen beschränkt ist. In Behörden und anderen staatlichen Organisationen kann das Problem sogar noch in verschärfter Form auftreten, wenn der "Chaosmanager" verbeamtet ist. Das verschafft ihm nämlich eine Machtposition, von der der "Chaosmanager" in der Privatwirtschaft nur träumen kann…
Ich möchte auch noch einmal den Begriff des Spiels aufgreifen, und zwar mehr im Sinn von Schauspielerei bzw. Theater. Nach wie vor am besten beschrieben hat dieses Phänomen m.E. Erving Goffman in seinem Buch "Wir alle spielen Theater". Darin schreibt u.a. über die "Ensemble-Verschwörung":
"Trotz der Erwartung, daß alles, was der Darsteller sagt, mit der Situationsbestimmung, die er entwirft, übereinstimmt, kann er im Verlauf einer Interaktion vieles mitteilen, das aus der Rolle fällt, ohne daß es das ganze Publikum merkt. Personen, die in diesem geheimen Kommunikationskreis aufgenommen werden, stehen zueinander in einer verschwörerischen Beziehung gegenüber den übrigen Teilnehmern. Wenn sie voreinander eingestehen, daß sie bedeutsame Geheimnisse vor den anderen Anwesenden bewahren, bekennen sie einander, daß das Schauspiel der Offenherzigkeit, das in der Behauptung liegt, sie seien nur die, die sie darstellen, eben nur ein Schauspiel ist.“ https://www.xing.com/net/prie7aae1x/wibuecher/biografien-klassiker-sowie-weitere-werke-abseits-des-mainstreams-273725/wir-alle-spielen-theater-die-selbstdarstellung-im-alltag-von-erving-goffman-37467142/37467142/#37467142
Der Unternehmenschef in der Rolle des Theater-Intendanten und die Mitarbeiter bzw. Manager als Ensemble 😉
Insbesondere die Ebene bzw. das Element der Technostruktur, das als Erster John Kenneth Galbraith verwendet hat. Galbraith bezeichnete die Technostruktur auch mal als das eigentliche Machtzentrum moderner Industrieunternehmen:
"Die Gruppe ist sehr groß; sie reicht von der Führungsspitze des Unternehmens bis hinunter zu den Meistern, Vorarbeitern und Arbeitern, deren Aufgabe darin besteht, mehr oder weniger mechanisch die ergangenen Anweisungen auszuführen und ihre Routinearbeit zu tun. Es gehören alle dazu, die zur Entscheidungsfindung durch die Gruppe spezielles Wissen, besondere Talente oder Erfahrungen beitragen. Diese Gruppe, und nicht das Management, ist die richtungsweisende Intelligenz – das Gerhirn – des Unternehmens. Es gibt keinen Namen für alle diejenigen, die an der Gruppenentscheidung teilhaben, oder für die Organisation, die sie darstellen. Ich schlage vor, diese Organisation als >>Technostruktur<< zu bezeichnen" http://econlittera.blogspot.de/2013/01/die-moderne-industriegesellschaft-von.html
Problematisch wird es m.E. dann, wenn das Machtzentrum in einem Unternehmen sich vom Rest abgekoppelt hat und von einer starken Technostruktur gestützt wird. Dagegen hilft auch die beste Corporate Governance nicht viel. Inwieweit die Principal-Agent-Theorie uns hier weiter hilft, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Muss ich noch mal drüber nachdenken.
Der Hinweis auf die öffentliche Verwaltung ist berechtigt. Jedoch stehen einige (Groß-) Unternehmen den öffentlichen Verwaltungen in Sachen Bürokratie kaum noch nach. …
Vielen Dank für die sehr interessanten Gedanken und Verweise.
Das Zitat über die "Ensemble-Verschwörung" gefällt mir sehr gut. Bei diesem "Theater" scheint mir entscheidend, wer die (nur zwischen den Zeilen vorhandene) Regie führt: Regisseur und damit "Spielleiter" im Wortsinne ist der Protagonist des aktionistischen Pragmatismus und sein "Regime" kann man nur beenden, indem man die Regeln des Spiels durchbricht. Für die Gegner des "Chaosmanagers" ist das schwierig und gefährlich zugleich, weil sie von Außenstehenden zunächst als "Spielverderber" angesehen werden.
Norbert Elias "höfisches Gesellschaft" hat mich nicht nur innerlich zum Grinsen gebracht: Wenn man sich diese "Gesellschaft" in privaten und öffentlichen Institutionen näher ansieht, dann fällt es einem teilweise nicht schwer Lehnsherren, Leibeigene und Hofnarren zu identifizieren. Das mag zunächst lustig erscheinen, aber eigentlich ist es tragisch, weil die "höfische Gesellschaft" weder effizient noch demokratisch ist. Im Kern ist sie sogar menschenverachtend. Nicht ohne Grund wurde dem Feudalismus mit der Französischen Revolution ein Ende bereitet.
Die von Kenneth Galbraith identifizierte "Technostruktur" trifft den Nagel ziemlich gut auf den Kopf. Davon auszugehen, dass eine gute Corporate Governance diese Machtzentren nicht aufbrechen kann, hielte ich jedoch für eine Kapitulation. Es ist doch gerade die Aufgabe von guter Governance, solche Strukturen zu identifizieren, aufzubrechen und zu verhindern.
Was Ihre Bemerkung angeht, dass "einige (Groß-) Unternehmen den öffentlichen Verwaltungen in Sachen Bürokratie kaum" nachstehen. Das glaube ich gerne, jedoch sehe ich zwischen Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen einen entscheidenden Unterschied, der diese Missstände in staatlichen Institutionen als noch weniger hinnehmbar erscheinen lässt: Unternehmen sind in der Regel dem Markt und dem Wettbewerb ausgesetzt. Man kann also davon ausgehen, dass zumindest mittel- bis langfristig ineffiziente Strukturen durch den Markt bestraft werden.
Unabhängig davon, wie ein Unternehmen finanziert ist, werden immer Fremd- und Eigenkapitalgeber von den Missständen betroffen sein und können mit dem "Exit" drohen. Bei öffentlichen Verwaltungen ist das nicht der Fall, da sie sich keinem Markt aussetzen müssen und durch Steuern und Gebühren finanziert sind.
Die eigentliche Gefahr der Technostruktur sah Galbraith nicht nur innerbetrieblich begründet, sondern vor allem auch dann als bedenklich, wenn die Technostruktur der Großkonzerne mit der des Staates (zu) eng kooperiert. Paradebeispiel ist natürlich das Militär. Aber auch andere Branchen wie Auto ebenso wie die Flug- und Raumfahrt zählen dazu. Hier sah Galbraith die Gefahr, dass der Wettbewerb und der Markt systematisch außer Kraft gesetzt werden. Diese Symbiose kann für externe Kapitalgeber sehr lukrativ sein.
Wie lange das gut geht, es immer die Frage. Irgendwann ist der Punkt erreicht, von dem ab an die Ineffizienzen zu erdrückend sind. Bis dahin sind aber viele kleinere und mittelständische Mitbewerber auf der Strecke geblieben.
Andererseits können sehr große staatliche Projekte häufig nur mit Partnern gestemmt werden, die eine gewisse Finanz- und Marktmacht repräsentieren. Ein Dilemma.
Nach anfänglicher Begeisterung hat sich meine "Beziehung" zur Corporate Governance etwas abgekühlt 😉 Die Beispiele Siemens und Thyssen-Krupp haben mich da ein wenig nachdenklich gemacht.
Da erhoffe ich mir vom Integrated Reporting ehrlich gesagt mehr. Das schließt für mich die Corporate Governance mit ein.
Toller Beitrag, der mich zum Nachdenken gebracht hat.
Pragmatismus ist für mich zunächst etwas Positives. Beim Lesen ist mir klar geworden, dass sich hinter Aktionismus oft Pseudo-Pragmatismus verbirgt. Das Problem ist, dass Pseudo-Pragmatiker durch ihren ständigen Aktionismus den Eindruck erwecken, sie seien die Einzigen, die in der Lage sind, ein Problem zu lösen. Dabei lösen sie nur Probleme, die es ohne ihr unüberlegtes Handeln gar nicht gäbe und sie stiften dabei regelmäßig ein heilloses Durcheinander.
Leider ist es gar nicht so einfach, gewieften Pseudo-Pragmatikern das Handwerk zu legen. Wenn sich mehrere Pseudo-Pragmatiker in Machtpositionen zu einer informellen Seilschaft zusammentun, kann es sogar fast unmöglich sein, ihrem Unwesen ein Ende zu bereiten.
Vielen Dank für den Beitrag, der mich wiederum zum Nachdenken anregt.
Es ist wirklich nicht einfach, aktionistischen Pragmatikern das Handwerk zu legen, da sie ja – nach außen hin – so unglaublich aktiv sind. Dass dabei häufig nicht viel heraus kommt, fällt u.a. deshalb nicht auf, da, wie schon gesagt, die Personen im näheren Umfeld es genau so halten und/oder die nächste Beförderung schon erfolgt ist. Die Aufräumarbeiten kann dann ein anderer erledigen, der es dann womöglich ähnlich hält …
Gut beobachtet hat dieses Phänomen m.E. Karl Weick in "Der Prozess des Organisierens http://econlittera.blogspot.de/2013/01/der-proze-des-organisierens-von-karl.html und der leider schon verstorbene Sumantra Ghoshal in "Beware the busy manager" http://www.johnsadowsky.com/wp-content/uploads/2012/03/BewaretheBusyManager.pdf
Und nicht zu vergessen: Peter F.Drucker in "Die ideale Führungskraft" http://econlittera.blogspot.de/2013/05/die-ideale-fuhrungskraft-von-peter-f.html
Vielen Dank für die Antwort und die weiterführenden Hinweise.
Was mir noch durch den Kopf ging und mir wichtig erscheint, ist, dass das Verhalten der Pseudopragmatiker bzw. der aktionistischen Pragmatiker durchaus rational begründet werden kann.
Man muss ihnen unterstellen, dass sie vorschnell und unüberlegt handeln, weil ihnen das als die beste Handlungsoption erscheint. Entweder fehlt ihnen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, ein Problem strukturiert anzugehen, oder sie sind tatsächlich nicht in der Lage das Problem zu durchdenken. Möglich ist auch, dass sie schlicht keine Motivation haben, dass Problem bestmöglich zu lösen. Was auch immer der Grund für ihr Verhalten ist, jedenfalls denken sie, dass sie damit für sich persönlich das Beste herausholen können, weil sie durch den Aktionismus die eigene Unsicherheit überspielen, von der eigenen Inkompetenz ablenken oder die eigene Motivationslosigkeit verbergen können.
Strategisch ist das ziemlich klug, weil sie das "Spiel" dadurch so sehr beschleunigen und verkomplizieren, dass sie zumindest nicht als Verlierer und oft sogar als Gewinner vom Platz gehen…
Das trifft es sehr gut. Der Begriff Spiel gefällt mir. Jedes Spiel wie auch jedes System hat Profiteure, die daran interessiert sind, dass alles so bleibt wie es ist. Problematisch wird es nur dann, wenn das Spiel/System kollabiert, z.B. ein Unternehmen in die Existenzkrise gerät. …
Für den Fall, dass der Kollaps droht, bietet sich als Ausweg, und um das Spiel am Laufen zu halten, nicht selten eine Fusion an 🙂
Dann geht es in die nächste Runde. Neues Spiel sozusagen. ..
Klasse Gedanken zur Abrundung!
Externes Wachstum durch Zusammenschlüsse scheint vor diesem Hintergrund dann auch nicht nur als ein egomanisches Projekt des Unternehmensführers sondern als der ultimative "Game Changer", der vom bisherigen Versagen weitestmöglich ablenken soll. Dafür wird dann sogar in Kauf genommen, dass man seine Stelle räumen muss, weil sich die Führungsebene im neuen Unternehmen möglicherweise neu formieren wird. Der gewiefte Stratege, der noch nicht alles gegen die Wand gefahren hat, wird freilich auch hier die Oberhand bewahren und sein System des aktionistischen Managements ins neue Unternehmen überführen.
Ich würde aber gerne nochmals auf das "Spiel" zurückkommen. Die Problematik, die wir hier diskutieren, ordne ich als Organisationsversagen ein: Es gibt offenbar Spieler, die so viel Macht haben, dass man sie nicht mal dann vom Platz nehmen kann, wenn sie die eigenen Interessen dauerhaft ganz offensichtlich über die der eigenen Mannschaft, sprich des Unternehmens, stellen. Wenn so etwas nicht abgestellt werden kann, ist das doch schlicht und einfach ein Zeichen von schlechter Governance und das Hauptproblem ist im Rahmen der Agency-Theorie doch auch ausreichend erforscht, oder?
Ich denke übrigens, dass das Problem des aktionistischen Pseudo-Pragmatismus nicht auf private Unternehmen beschränkt ist. In Behörden und anderen staatlichen Organisationen kann das Problem sogar noch in verschärfter Form auftreten, wenn der "Chaosmanager" verbeamtet ist. Das verschafft ihm nämlich eine Machtposition, von der der "Chaosmanager" in der Privatwirtschaft nur träumen kann…
Danke für die anregende Diskussion!
Ich möchte auch noch einmal den Begriff des Spiels aufgreifen, und zwar mehr im Sinn von Schauspielerei bzw. Theater. Nach wie vor am besten beschrieben hat dieses Phänomen m.E. Erving Goffman in seinem Buch "Wir alle spielen Theater". Darin schreibt u.a. über die "Ensemble-Verschwörung":
"Trotz der Erwartung, daß alles, was der Darsteller sagt, mit der Situationsbestimmung, die er entwirft, übereinstimmt, kann er im Verlauf einer Interaktion vieles mitteilen, das aus der Rolle fällt, ohne daß es das ganze Publikum merkt. Personen, die in diesem geheimen Kommunikationskreis aufgenommen werden, stehen zueinander in einer verschwörerischen Beziehung gegenüber den übrigen Teilnehmern. Wenn sie voreinander eingestehen, daß sie bedeutsame Geheimnisse vor den anderen Anwesenden bewahren, bekennen sie einander, daß das Schauspiel der Offenherzigkeit, das in der Behauptung liegt, sie seien nur die, die sie darstellen, eben nur ein Schauspiel ist.“ https://www.xing.com/net/prie7aae1x/wibuecher/biografien-klassiker-sowie-weitere-werke-abseits-des-mainstreams-273725/wir-alle-spielen-theater-die-selbstdarstellung-im-alltag-von-erving-goffman-37467142/37467142/#37467142
Der Unternehmenschef in der Rolle des Theater-Intendanten und die Mitarbeiter bzw. Manager als Ensemble 😉
Weiterhin halte ich die Gedanken von Norbert Elias über die höfische Gesellschaft für hilfreich. Auch in Unternehmen können sich Strukturen bzw. Figurationen bilden, die denen der höfischen Gesellschaft verblüffend ähneln … http://econlittera.blogspot.de/2013/01/die-hofische-gesellschaft-von-norbert.html
Ebenso halte ich in dem Zusammenhang das Organisationsmodell von Henry Mintzberg als Diagnose-Instrument für sehr geeignet http://de.wikipedia.org/wiki/Konfiguration_von_Mintzberg
Insbesondere die Ebene bzw. das Element der Technostruktur, das als Erster John Kenneth Galbraith verwendet hat. Galbraith bezeichnete die Technostruktur auch mal als das eigentliche Machtzentrum moderner Industrieunternehmen:
"Die Gruppe ist sehr groß; sie reicht von der Führungsspitze des Unternehmens bis hinunter zu den Meistern, Vorarbeitern und Arbeitern, deren Aufgabe darin besteht, mehr oder weniger mechanisch die ergangenen Anweisungen auszuführen und ihre Routinearbeit zu tun. Es gehören alle dazu, die zur Entscheidungsfindung durch die Gruppe spezielles Wissen, besondere Talente oder Erfahrungen beitragen. Diese Gruppe, und nicht das Management, ist die richtungsweisende Intelligenz – das Gerhirn – des Unternehmens. Es gibt keinen Namen für alle diejenigen, die an der Gruppenentscheidung teilhaben, oder für die Organisation, die sie darstellen. Ich schlage vor, diese Organisation als >>Technostruktur<< zu bezeichnen" http://econlittera.blogspot.de/2013/01/die-moderne-industriegesellschaft-von.html
Problematisch wird es m.E. dann, wenn das Machtzentrum in einem Unternehmen sich vom Rest abgekoppelt hat und von einer starken Technostruktur gestützt wird. Dagegen hilft auch die beste Corporate Governance nicht viel.
Inwieweit die Principal-Agent-Theorie uns hier weiter hilft, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Muss ich noch mal drüber nachdenken.
Der Hinweis auf die öffentliche Verwaltung ist berechtigt. Jedoch stehen einige (Groß-) Unternehmen den öffentlichen Verwaltungen in Sachen Bürokratie kaum noch nach. …
Vielen Dank für die sehr interessanten Gedanken und Verweise.
Das Zitat über die "Ensemble-Verschwörung" gefällt mir sehr gut. Bei diesem "Theater" scheint mir entscheidend, wer die (nur zwischen den Zeilen vorhandene) Regie führt: Regisseur und damit "Spielleiter" im Wortsinne ist der Protagonist des aktionistischen Pragmatismus und sein "Regime" kann man nur beenden, indem man die Regeln des Spiels durchbricht. Für die Gegner des "Chaosmanagers" ist das schwierig und gefährlich zugleich, weil sie von Außenstehenden zunächst als "Spielverderber" angesehen werden.
Norbert Elias "höfisches Gesellschaft" hat mich nicht nur innerlich zum Grinsen gebracht: Wenn man sich diese "Gesellschaft" in privaten und öffentlichen Institutionen näher ansieht, dann fällt es einem teilweise nicht schwer Lehnsherren, Leibeigene und Hofnarren zu identifizieren. Das mag zunächst lustig erscheinen, aber eigentlich ist es tragisch, weil die "höfische Gesellschaft" weder effizient noch demokratisch ist. Im Kern ist sie sogar menschenverachtend. Nicht ohne Grund wurde dem Feudalismus mit der Französischen Revolution ein Ende bereitet.
Die von Kenneth Galbraith identifizierte "Technostruktur" trifft den Nagel ziemlich gut auf den Kopf. Davon auszugehen, dass eine gute Corporate Governance diese Machtzentren nicht aufbrechen kann, hielte ich jedoch für eine Kapitulation. Es ist doch gerade die Aufgabe von guter Governance, solche Strukturen zu identifizieren, aufzubrechen und zu verhindern.
Was Ihre Bemerkung angeht, dass "einige (Groß-) Unternehmen den öffentlichen Verwaltungen in Sachen Bürokratie kaum" nachstehen. Das glaube ich gerne, jedoch sehe ich zwischen Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen einen entscheidenden Unterschied, der diese Missstände in staatlichen Institutionen als noch weniger hinnehmbar erscheinen lässt: Unternehmen sind in der Regel dem Markt und dem Wettbewerb ausgesetzt. Man kann also davon ausgehen, dass zumindest mittel- bis langfristig ineffiziente Strukturen durch den Markt bestraft werden.
Unabhängig davon, wie ein Unternehmen finanziert ist, werden immer Fremd- und Eigenkapitalgeber von den Missständen betroffen sein und können mit dem "Exit" drohen. Bei öffentlichen Verwaltungen ist das nicht der Fall, da sie sich keinem Markt aussetzen müssen und durch Steuern und Gebühren finanziert sind.
Besten Dank. Wiederum sehr anregende Gedanken.
Die eigentliche Gefahr der Technostruktur sah Galbraith nicht nur innerbetrieblich begründet, sondern vor allem auch dann als bedenklich, wenn die Technostruktur der Großkonzerne mit der des Staates (zu) eng kooperiert. Paradebeispiel ist natürlich das Militär. Aber auch andere Branchen wie Auto ebenso wie die Flug- und Raumfahrt zählen dazu. Hier sah Galbraith die Gefahr, dass der Wettbewerb und der Markt systematisch außer Kraft gesetzt werden. Diese Symbiose kann für externe Kapitalgeber sehr lukrativ sein.
Wie lange das gut geht, es immer die Frage. Irgendwann ist der Punkt erreicht, von dem ab an die Ineffizienzen zu erdrückend sind. Bis dahin sind aber viele kleinere und mittelständische Mitbewerber auf der Strecke geblieben.
Andererseits können sehr große staatliche Projekte häufig nur mit Partnern gestemmt werden, die eine gewisse Finanz- und Marktmacht repräsentieren. Ein Dilemma.
Nach anfänglicher Begeisterung hat sich meine "Beziehung" zur Corporate Governance etwas abgekühlt 😉 Die Beispiele Siemens und Thyssen-Krupp haben mich da ein wenig nachdenklich gemacht.
Da erhoffe ich mir vom Integrated Reporting ehrlich gesagt mehr. Das schließt für mich die Corporate Governance mit ein.
Hier noch einige ketzerische Gedanken zum Thema Coporate Governance 😉
https://www.xing.com/net/prie7aae1x/pbreporting/environmental-social-and-governance-esg-251675/wundertute-governance-analyse-eines-modewortes-21744121/21744121/#21744121