Von Ralf Keuper
Wenn von der Digitalisierung die Rede ist, dann meistens in Verbindung mit dem Internet; bei näherer Betrachtung vielleicht noch mit dem PC oder dem Smartphone. Wer zum Futurismus neigt, bringt noch das Internet der Dinge ins Gespräch. Andere, wie George Dyson in Turings Kathedrale, verlegen den Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter in die Zeit, als die Forschergruppe rund um John von Neumann am Institute for Advanced Study intensiv an einem Universalrechner arbeitete.
Dabei war es der eher unscheinbare integrierte Schaltkreis, der der Computerisierung zum Durchbruch verhalf, wie James D. Meindl schreibt:
Der vielleicht bedeutendste Umbruch der vergangenen 50 Jahre ist die Hinwendung der Gesellschaft zu Weisen und Formen der Betätigung, deren hauptsächliches Produkt sich mit dem Begriff Information beschreiben lässt. Bewirkt hat diesen Wandel die rasante Entwicklung der Elektronik, insbesondere die ihres wichtigsten Produktes: des auf einem einzigen Siliciumchip untergebrachten integrierten Schaltkreis.
Seit seiner Erfindung im Jahre 1959 hat sich die Anzahl der Transistoren, die auf einem Chip Platz finden, von eines auf mehrere Millionen erhöht. Die Folge ist eine um mehr als zehntausendfach verbesserte Leistungsfähigkeit dieses zentralen Bausteins der Elektronik (in: Chips für künftige Computergenerationen, aus: Computersysteme , hrsg. von Jörg H. Siekmann).
Meindl stellte sich 1990 die Frage:
Wann wird ein Chip mit einer Milliarde Transistoren, der Prototyp der sogenannten Giga-Scale-Integration (GSI), kommerziell erhältlich sein?
Meindl ging von folgender Überlegung aus:
Um diesen Zeitpunkt zu bestimmen, muss man die Faktoren analysieren, die der weiteren Integration Grenzen setzen. ..
Die theoretischen Grenzen basieren auf anerkannten Naturgesetzen und sind unverrückbar. Demgegenüber hängen die praktischen Grenzen von den Herstellungsverfahren und den Maschinen ab und gelten daher nicht absolut. Sie legen lediglich fest, was zu einem bestimmten Zeitpunkt im Rahmen der vorhandenen Technologien möglich ist. Die historische Analogie schließlich kann helfen, die langfristige Entwicklung der Informationstechnik durch den Vergleich mit der bereits vollzogenen Industriellen Revolution abzuschätzen (ebd.)
Die Geschichte des Integrierten Schaltkreises ist eng mit der Erfindung des Transistors und dem Unabhängigkeitsdrang der sog. Fairchild Acht verknüpft. Den letzten, entscheidenden Schliff verpasste Robert Noyce dem integrierten Schaltkreis, als er die Transistoren auf einem Silicium-Chip vereinte. Meindl erkennt im Silicium daher den entscheidenden Werkstoff der Informationsrevolution:
Ich glaube, niemand wird bestreiten, dass Eisen der wichtigste Werkstoff der Industriellen Revolution war. Entsprechend ist Silicium der Schlüsselwerkstoff der Computer-Revolution. Wie Silicium nach Dotierung mit Verunreinigungsatomen das Ausgangsmaterial für einen integrierten Schaltkreis bildet, wurde Eisen mit anderen Elementen zu Stahllegierungen veredelt. Die Reihe von Analogien lässt sich mühelos erweitern, wenn man auch die Bauelementebene (Transistor/Kolben), die Schaltkreisebene (integrierter Schaltkreis/Verbrennungsmotor) und die Systemebene (Computernetz/Transportsystem) einbezieht.
Der integrierte Schaltkreis als Verbrennungsmotor der Digitalmoderne.
Im Jahr 2010 vereinte der Intel Core i7 2600K bereits 995 Mio. Transistoren, ein Jahr später überschritt der AMD Bulldozer mit 1,2 Mrd. Transistoren die magische Grenze.
Die integrierten Schaltkreise haben sich zu Prozessoren weiter entwickelt und ihre Einflussphäre weiter ausgedehnt, was man durchaus mit einiger Skepsis betrachten kann, jedenfalls dann, wenn man den Beitrag What’s the point of secure software if you can’t trust your CPU? auf sich wirken lässt.
Weitere Informationen:
Die Geburt des Silicon Valley, oder: Die Geschichte der „Fairchild Eight“
John von Neumann (Vater des digitalen Zeitalters)
Computerchip 4.0 – MIT-Forscher entwickeln 3D-Computerchip