Der Hohenzollernstaat trug alle Kennzeichen eines durch erfolgreiche Kriege hochgebrachten Militärstaates an sich. Seine führenden Männer waren durchaus offen für die Notwendigkeit einer zunehmenden Industrialisierung und im weiteren Sinne einer wachsenden Modernisierung. Aber bürgerliche Industrielle und Kapitalbesitzer bildeten nicht die herrschende, die Oberschicht des Landes. Die Stellung des Kriegs- und Beamtenadels als höchstrangierende und mächtigste Schicht der Gesellschaft wurde durch den Sieg von 1871 nicht nur gewahrt, sondern verstärkt. Nicht das gesamte, aber doch ein guter Teil des Bürgertums passte sich verhältnismäßig rasch diesen Gegebenheiten an. Sie fügten sich als Vertreter einer zweitrangigen Klasse, als Untertanen, in die Gesellschaftsordnung des Kaiserreiches ein. ..
Eine eigentümliche Spielart des Bürgertums trat so auf die Szene: bürgerliche Menschen, die die Lebenshaltung und die Normen des Militäradels zu den ihren machten. Damit verbunden war eine klare Distanzierung von den Idealen der deutschen Klassik. Das Versagen der eigenen Schicht bei dem Bemühen, das Ideal der Einigung Deutschlands zu verwirklichen, und die Erfahrung, dass es unter Leitung des Militäradels verwirklicht worden war, führte zu einem Vorgang, den man vielleicht als Kapitulation weiter Kreise des Bürgertums vor dem Adel bezeichnen kann. Sie wandten sich nun entschlossen gegen den klassischen bürgerlichen Idealismus, zugunsten eines Scheinrealismus der Macht.
Quelle: Norbert Elias: Studien über die Deutschen