Eine exakte Gleichung ist nicht weniger schön als ein gut formulierter Satz. Aber jede Wissenschaft hat ihre eigene sprachliche Ästhetik. Menschliche Gegebenheiten sind ihrem Wesen nach äußerst heikle Phänomene, die sich nicht selten mathematischer Messung entziehen. Um sich richtig zu verstehen und folglich auch verstehen zu können .. bedarf es einer differenzierten Ausdrucksweise .. . Wo es nicht möglich ist zu berechnen, sind Vorschläge geboten. Zwischen dem Ausdruck der Realitäten der physischen Welt und dem der Realitäten des menschlichen Geistes besteht im Grunde genommen derselbe Unterschied wie zwischen der Arbeit eines Fräsers und der eines Geigenbauers; beide arbeiten auf den Millimeter genau; während aber der Fräser mechanische Präzisionsinstrumente zur Verfügung hat, lässt sich der Geigenbauer vor allem von seinem Gehör und seinem Fingerspitzengefühl leiten. Es wäre weder gut, wenn der Fräser sich mit der Empirie des Geigenbauers zufrieden gäbe, noch, wenn der Geigenbauer darauf verfiele, es dem Fräser gleichzutun. Wer wollte leugnen, dass es nicht nur ein Fingerspitzengefühl der Hände, sondern auch der Wörter gibt?
Quelle: Apologie der Geschichtswissenschaft, oder der Beruf des Historikers