Vorsicht vor dem Historiker als Prophet. Die Geschichtsforschung hat ganz genug damit zu tun, herauszufinden und zu erklären, wie sich bestimmte Situationen in der Vergangenheit entwickelt haben. Die Auswahl der erklärungsbedürftigen Situationen kann nicht a priori erfolgen: Sie hängt ab von der Situation, in der wir leben, und den Problemen, die wir zu lösen haben. Die Wahl der Themen für Forschung und Lehre ist natürlich persönlich und subjektiv und kann sehr wohl durch die uns noch verbliebenen religiösen, philosophischen oder moralischen Überzeugungen bedingt sein. Es kommt darauf an, uns, wenn mit der Forschung oder Lehre begonnen ist, von den Beweisen, die uns gegeben sind, leiten zu lassen. Die Motive für eine Forschungsarbeit dürfen auf die Durchführung der Forschung selbst keinen Einfluss haben. Die Forschungsergebnisse müssen ihrerseits nach den uns noch verbliebenen religiösen, philosophischen oder moralischen Überzeugungen untersucht werden, bevor wir unsere historischen Schlussfolgerungen zur Grundlage unseres Handelns machen. Kenntnis der Vergangenheit ist eine nützliche, aber nicht ausreichende Bedingung für unser Handeln. Wenn wir vergessen, dass die Geschichte als solche uns über die Vergangenheit der Menschheit unterrichtet, aber uns keinen Maßstab für zukünftiges Handeln an die Hand gibt, werden wir weniger über die Vergangenheit wissen und weniger verantwortungsvoll über die Zukunft entscheiden können. Abschließend möchte ich dafür plädieren, dass die Geschichte auch in Zeiten der Massenerziehung das bleiben muss, was sie war, als sie noch für eine begrenzte Zahl erwachsener Leser geschrieben wurde – nämlich Information über unsere Vergangenheit. 

Quelle: Geschichte in einer Zeit der Ideologien, in: Wie Geschichte geschrieben wird. 

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