Von Ralf Keuper
In seinem lesenswerten Buch Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo regt Brendan Simms auf den letzten Seiten an, die Königlich Deutsche Legion, deren hartnäckige Verteidigung des Gehöfts La Haye Sainte während der Schlacht von Waterloo mitentscheidend für den Sieg über Napoleon war, zum Vorbild für eine gemeinsame europäische Armee zu nehmen.
Für Simms war die Abkehr von dem, wenn man so will, Kodex der Königlich Deutschen Legion, wie er in der Schlacht von Waterloo von dem Offizier Georg Baring in vorbildlicher Weise repräsentiert wurde, einer der Gründe für die spätere bedingungslose Aufopferungsbereitschaft deutscher Offiziere und Soldaten im ersten und zweiten Weltkrieg, deren trauriger Höhepunkt die Schlacht bei Stalingrad war.
Für Simms sind Mut und Tapferkeit durchaus vereinbar mit Rationalität und Augenmaß und kein Freischein für Fatalismus:
Der Heldenmut der Garnison von La Haye Sainte war rational, nicht selbstmörderisch; sie kämpften zwar bis zur letzten Kugel, aber nicht bis zum letzten Mann. .. Baring .. opferte keinen seiner Männer aus Leichtsinn zugunsten der Ehre oder im Geist einer todesverachtenden Hybris.
Harry Graf Kessler schrieb in seinem Tagebuch nicht ganz ohne Grund sinngemäß:
Die Engländer und Franzosen ziehen in den Krieg, um zu siegen, die Deutschen, um zu sterben.
Wahr daran ist, dass Engländer und Franzosen in der Geschichte eine deutlich geringere Neigung gezeigt haben, auch noch so aussichtslose Kämpfe bis zum bitteren Ende durchzufechten, wie das die Deutschen nur allzu oft vorgemacht haben – und das nicht nur in Stalingrad, sondern auch in eher peripheren Kampfplätzen von untergeordneter Bedeutung, wie im Kurland. Ein strategischer Rückzug, um die Truppen zu retten und neu zu formieren, galt als unehrenhaft. Starrsinn statt kluge Weitsicht.
Aber auch die englische Militärführung war nicht immer frei von Starrsinn, wie während des ersten Weltkriegs, als sie in der Somme-Schlacht mehrfach Sturmangriffe auf die deutschen Stellungen befahl, in deren Verlauf tausende englische Soldaten von deutschen MGs niedermäht wurden. Nicht umsonst spricht man von dem blutigsten Tag der britischen Geschichte. Ein Grund dafür, weshalb der erste Weltkrieg im kollektiven Bewusstsein der Briten bei weitem nicht in so hohem Ansehen steht, wie der zweite.
Die Franzosen unter General Petain haben während des Ersten Weltkrieges bei der Schlacht um Verdun, anders als die Deutschen, deren Befehlshaber von Falkenhayn von der „Blutpumpe Verdun“ sprach, die Truppen in regelmäßigen Abständen ausgetauscht.
Ähnlich fatalistisch wie die deutsche Militärführung im 2. Weltkrieg war die japanische, wofür nicht nur die berühmt-berüchtigten Kamikaze-Flieger stehen. Einen nicht unerheblichen Anteil daran hatte der Zen-Buddhismus mit seiner betont anti-intellektuellen Haltung. Ganz anders dagegen die Chinesen, die nicht darauf aus sind, den Gegner vollständig zu vernichten, und schon gar nicht selbst vernichtet zu werden.
Wie auch immer. Die Gedanken von Simms verdienen es, näher betrachtet zu werden. Die Königlich Deutsche Legion war, als Teil der britischen Armee, auch von deren Kampfstil geprägt, was wohl der entscheidende Grund für ihre Haltung gewesen sein dürfte.
In dieser Tradition stand in gewisser Hinsicht das Infanterie Regiment Nr. 9 in Potsdam, aus dem ungewöhnlich viele Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hervorgingen.
Weitere Informationen:
Brendan Simms: Der längste Nachmittag. 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo