Was ich .. sagen will, ist, dass es schon lange eine Trennung – eine notwendige Trennung – zwischen dem wissenschaftlichen Denken und der, wie ich es nenne, Logik des Konkreten gibt, das heisst der Beobachtung und Verwendung von Sinneserfahrungen im Gegensatz zu Bildern, Symbolen und ähnlichem. Wir sind womöglich Zeugen des Augenblicks, da diese Trennung vielleicht aufgehoben oder rückgängig gemacht wird, weil die moderne Wissenschaft in der Lage zu sein scheint, nicht nur in ihrem herkömmlichen Bereich Fortschritte zu machen – immer weiter vorwärts zu drängen, aber stets auf dem gleichen schmalen Pfad -, sondern gleichzeitig den Pfad zu verbreitern und sehr viele Probleme wieder aufzunehmen, die sie bisher beiseite gelassen hat.
Nun könnte man mich vielleicht kritisieren und sagen, ich sei szientistisch oder ein blinder Anhänger der Wissenschaft, der die Ansicht vertritt, dass die Wissenschaft einfach alle Probleme zu lösen vermag. Das glaube ich nun ganz bestimmt nicht, zumal ich mir nicht vorstellen kann, dass der Tag kommen wird. Es wird immer neue Probleme geben, und in dem Maße, in dem die Wissenschaft heute Probleme lösen kann, die vor einem Jahrzehnt oder vor einem Jahrhundert noch für philosophisch gehalten wurden, werden neue Probleme auftauchen, die es bisher noch nicht gab und die man sich bisher auch nicht als Problem gestellt hat. Zwischen der Antwort, die die Wissenschaft uns zu geben vermag, und der Frage, die diese Antwort hervorruft, wird stets eine Kluft bestehen bleiben. Insofern bin ich also nicht szienstistisch. Die Wissenschaft wird uns niemals alle Antworten geben können. Wir können uns allerdings bemühen, die Anzahl und die Qualität der Antworten, die wir geben können, langsam anzuheben. Das aber können wir, so meine ich, nur mit Hilfe der Wissenschaft.
Quelle: Mythos und Bedeutung. Fünf Radiobeiträge mit Claude Lévi-Strauss