Von Ralf Keuper

Da dachte ich noch, weitgehend frei von Illusionen, die jüngere deutsche Wirtschaftsgeschichte betreffend, zu sein und sich auf ein halbwegs fundiertes Wissen stützen zu können, und dann das: In der Sendung Geschichte im Ersten: Unser Wirtschaftswunder – Die wahre Geschichte, die bereits im vergangenen Jahr ausgestrahlt wurde, zerlegt der Autor Christoph Weber den Mythos vom deutschen Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.

Entgegen der noch heute, und bei mir bisher, weit verbreiteten Annahme, war Deutschland keinesfalls so zerstört, wie die Wochenschauen der damaligen Zeit suggeriert haben. Die Produktionskapazitäten waren sogar sehr groß, alleine schon wegen der enormen Aufrüstung der vorangegangenen Jahre. Die Alliierten waren, wie der ehemalige Leiter der CIA Berlin, Peter Sichel, in dem Film äußert, ob des äußeren “Erfolges” ihrer Bombardements mit dem Resultat keinesfalls zufrieden. Die deutsche Kriegswirtschaft konnte nur vorübergehend geschwächt werden.

Selbst die heilige Kuh, der Mythos vom Wirtschaftswunder, die Währungsreform, geschah nach dem Diktat und den Vorstellungen der Amerikaner. Ludwig Erhard, der häufig als der Vater der D-Mark gefeiert wird, hat an den entscheidenden Sitzungen nicht einmal teilgenommen. Allerdings hat er die Währungsreform geschickt als sein Werk in den Medien inszeniert. Selber hatte er nur eine Statistenrolle. Auch der legendäre Marshall-Plan war mehr geschickte Propaganda, als wirkliche wirtschaftliche Hilfe.

Deutschland profitierte in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg von einem, wie es der renommierte Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in dem Beitrag formuliert, “Brain drain”, der sich von Ostdeutschland nach Westdeutschland, nicht selten mit Unterstützung von Schleusern, erstreckte. Auf diese Weise kamen hoch qualifizierte Ingenieure und Fachkräfte nach Westdeutschland, die u.a. beim Aufbau der Audi AG in Ingolstadt wertvolle Dienste leisteten.

Das deutsche Exportwunder begann mit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Jahr 1950. Da Deutschland noch über genügend freie Kapazitäten verfügte, konnten von hier die nötigen Geräte und (Werkzeug-)Maschinen, gleichwohl keine Kriegsgeräte, geliefert werden.

Als ein Hindernis stellte sich während des Krieges die hohe Qualität der Kriegsgeräte heraus, die, wie im Fall eines Flugzeugs, für mehrere hundert oder tausende Flugstunden konstruiert wurden, in der Praxis jedoch nur wenige Stunden den Kampfeinsatz überstanden. Mit der Zeit wurde das Qualitätsniveau den Realitäten angepasst. Gegen Ende des Krieges war es mit der viel zitierten Qualität deutscher Produkte daher nicht allzu weit her. Dieser Befund gilt auch für den legendären VW Käfer, der, was die Qualität anging, bestenfalls Mittelmaß und gerade gut genug für den Massenmarkt war. Heinrich Nordhoff, der erste Chef von VW nach dem 2. Weltkrieg, auch hier wurde ich um eine Illusion ärmer, gehörte während des Krieges zum sog. “Speers Kindergarten“, dem Rüstungsminister und Lieblingsarchitekten Adolf Hitlers, Albert Speer. Aus dieser Zeit hat Nordhoff wohl einige Praktiken der Führung und Selbstdarstellung übernommen.

Aufgrund der Tatsache, dass nach dem Krieg mehr als drei Millionen Ingenieure und Facharbeiter durch den Niedergang der Rüstungsindustrie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, konnten die Arbeitgeber moderate Löhne durchsetzen. Machtbewusste Manager stießen, wie es in dem Film heisst, auf untertänige Mitarbeiter.

Wegen des großen Nachholbedarfs und des Verkäufermarktes brauchte es eigentlich, wie Werner Abelshauser es ausdrückt, keines Unternehmers. Das Geschäft war schon eher ein Selbstläufer. Als der Wind sich drehte, waren viele gefeierte Unternehmer des Wirtschaftswunders mit ihrem Latein recht schnell am Ende.

Keine gute Figur machte Ludwig Erhard im Zuge des Rückgabeverfahrens der Rosenthal-Porzellan-Manufaktur. So versuchte er die vollständige Rückgabe an die von den Nazis enteignete Familie Rosenthal, vertreten durch Philipp Rosenthal, zu verhindern. Wie Dokumente belegen, bezog Erhard zu dem Zeitpunkt 12.000 DM Beraterhonorar der Rosenthal AG, die er sich wohl nicht entgehen lassen wollte.

Der eigentliche Befreiungsschlag für die deutsche Wirtschaft nach dem Weltkrieg, ohne den es nicht einmal ein im Nachhinein konstruiertes Wirtschaftswunder gegeben hätte, war das Londoner Schuldenabkommen. Darin einigten sich die an den Verhandlungen beteiligten Länder auf den weitgehenden Verzicht ausstehender Kreditzahlungen und von Reparationszahlungen. Ohne diesen Kompromiss wäre Deutschland wohl kaum wieder auf die Beine gekommen, jedenfalls nicht so schnell. Das Einlenken geschah weniger aus Nächstenliebe, sondern aus politischem Kalkül. Vor allem die Amerikaner wollten verhindern, dass der Westen Europas als wirtschaftlich rückständiges Gebiet, mit Deutschland in der Mitte, den Verlockungen des Kommunismus erlag.

Auch das Verhandlungsgeschick eines Hermann-Josef Abs hätte nichts an dem Verhandlungsergebnis ändern können, hätten die Länder auf der Rückzahlung ihrer Kredite sowie auf Reparationszahlungen bestanden und hätte das Szenario einer Annäherung an den Ostblock nicht existiert.

Ein Punkt, der in Deutschland in letzter Zeit gerne übersehen wird, um es zurückhaltend zu formulieren.

 

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