Hegel war in der Tat ein Mann seiner Zeit und änderte sich mit ihr. Seine politische Entwicklung folgte sozusagen dem Prinzip der Koinzidenz – Revolutionär mit der Revolution wurde er Bonapartist unter dem Kaiser, dieser Weltseele. Nach der Niederlage Napoleons wird er sich Preußen zuwenden, dessen Staat ihm die Erfüllung der Geschichte verspricht, genauer gesagt: die Idee, so wie sie auf dieser Erde existiert. Es trifft zwar zu, dass er Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1830 nicht zur Weltseele erklärt hat, doch bedurfte eben damals die Geschichte keiner ›weltgeschichtlichen Individuen‹ mehr. In Hegels Werk war nämlich der Weltgeist endlich zum absoluten Wissen gelangt und hatte sich darin verwirklicht, und zwar im doppelten Sinne des Wortes. Als die Nachricht von der Juli-Revolution nach Berlin gelangte, fühlte sich der Philosoph beunruhigt und in einem solchen Maße geärgert, dass selbst das Kartenspiel es nicht vermochte, ihm seine überlegene gute Laune zurückzugeben. Dieses Ereignis war unfassbar, denn es kam viel zu spät – post politicum actum. Auch die Reform der Whigs im Jahre 1831 war in seinen Augen eine perverse Erscheinung, was Hegel in Artikeln nachwies, die selbst der Preußischen Staatszeitung, für die er schrieb, zu reaktionär waren. …
Selbst wenn es zutrifft, dass unter den Philosophen Törichtheit verhältnismäßig weiter verbreitet ist als – sagen wir – unter den Schreinern, so fühlt man sich doch weniger geneigt, Genie und Torheit in einem Denker als zum Beispiel in einem Maler vermengt zu sehen. Mehr als irgendein anderer hat also Hegel jene Art von ›Tiefen-Törichtheit‹ gefördert, von der seit kurzem auch in Frankreich gewisse Philosophen zehren, vor allem jene, die sich Ontologen nennen und die ohne wirkliche Beziehung zu einem solchen System entdecken, dass sie Hegelianer sind, nur um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie Revolutionäre sind.
Quelle: Manès Sperber. Positionen. Ein Essay über die Linke (1952), in: Essays zur täglichen Weltgeschichte