Von Ralf Keuper
Søren Kierkegaard, Begründer der Existenzphilosophie, war der schärfste Kritiker der protestantischen Kirche Dänemarks seiner Zeit und überdies ein klarsichtiger Beobachter der Gesellschaft, wie der Audiobeitrag Søren Kierkegaard: Freiheit ohne Grenzen zeigt. Zu Lebzeiten von seiner Umgebung bestenfalls geduldet, setzte die Wirkung seiner Werke erst lange nach seinem Tod ein und hat so unterschiedliche Denker wie Jean-Paul Sartre, Martin Heidegger, Peter F. Drucker, Paul Tillich, Denis de Rougemont und in unserer Zeit den Kirchenkritiker Eugen Drewermann beeinflusst.
Einer seiner bekanntesten Sätze ist:
Es ist wahr, was die Philosophie sagt, dass das Leben rückwärts verstanden werden muss. Aber darüber vergisst man den anderen Satz: Dass es vorwärts gelebt werden muss.
Für Kierkegaard ist nichts verdächtiger als das Selbstverständliche. Trotz seiner kritischen Haltung strebte er einige Zeit eine Laufbahn in der protestantischen Kirche an und studierte mit großem Erfolg Theologie. Mit der Veröffentlichung seines Buches Entweder Oder, das wie eine Bombe einschlug und bei der Leitung der dänischen Kirche auf scharfe Ablehnung stiess, stand dieser Weg für ihn nicht mehr offen.
In dem Buch gab er kund, dass nicht die Religion über die Lebensorientierung eines Menschen entscheidet, sondern von ihm in freier Wahl immer und immer wieder vollzogen wird.
Nachdem von der Kirche und der Öffentlichkeit keine Unterstützung für seine Ansichten zu erwarten war, wuchs in ihm die Überzeugung, für kommende Generationen zu schreiben, was dann auch eintrat. Der dänische Klerus ging einer direkten Auseinandersetzung mit ihm aus dem Weg, wohl auch deshalb, da sie seinem Feuergeist nicht gewachsen war.
Christentum ist für Kierkegaard eine Existenzmitteilung und kann daher nur durch die Existenz realisiert, gelebt werden.
Einen Glauben, den man nur mit dem Verstand begreifen kann, lehnte er entschieden ab. Christsein nach seinem Verständnis hieß auch, die Welt nicht so hinzunehmen wie sie ist.
Entscheidend für sein weiteres Schaffen und posthumen Erfolg war die Einführung des Begriffs der Angst in seine Philosophie. Wesentlich für ihn war, sich ängstigen zu lernen, um nicht verloren zu sein, d.h. der Angst in die Augen zu sehen, um so für die Weiterentwicklung zu nutzen und nach Auswegen zu suchen. Angst überfällt den Menschen vor allem dann, wenn er sich von dem Schutz der Herde entfernt. Die Tatsache, frei zu sein und entscheiden zu können, löst bei uns häufig Angst aus.
Diese Haltung passt nicht in das Bild, wie der moderne Mensch zu sein hat. Kierkegaard geht es um das Werden und nicht bzw. weniger um das Sein.
Berühmt geworden ist auch die „Wildgans-Parabel“ Danach besitzt auch der Mensch Flügel – die Phantasie. Dem stellt er den Spießbürger gegenüber:
Die Liebe der Spießbürger zu Gott tritt ein, wenn das vegetative Leben in voller Tätigkeit ist.
Kurzum: Christentum ist nichts Beruhigendes, sondern etwas Beunruhigendes, eben das, was im Protestantismus als „Erweckung“gilt bzw. galt.
Das moderne Zeitalter ist von einem allgemeinen Denken und Fühlen geprägt, das für das eigene gehalten wird. Daher lässt man auch gerne andere für sich entscheiden.
Bereits im in der 30er Jahren des 19. Jahrhunderts gelangte Kierkegaard angesichts der damaligen Wirtschaftskrise, die Europa ergriff, zu der weitsichtigen Erkenntnis:
Man befürchtet im Augenblick nichts mehr als den totalen Bankrott, dem wie es scheint ganz Europa entgegengeht und vergisst darüber die weit gefährlichere und anscheinend unumgehbare Zahlungsunfähigkeit in geistiger Hinsicht, die vor der Tür zu steht.