Von Ralf Keuper
Als Emmanuel Todd sein Buch Weltmacht USA – Ein Nachruf veröffentlichte, waren die USA noch die unangefochtene Weltmacht. Die Meinungen über die Gültigkeit der darin formulierten Hauptthese, wonach die USA ihre Kräfte überdehnen und über kurz oder lang das Schicksal anderer Weltreiche teilen werden, wie das des Römischen Reiches oder des britischen Empire, gehen bis heute auseinander. Nach Todd haben weitere Autoren die nachlassende Bedeutung der USA als führende Nation der Welt thematisiert, wie Fareed Zakira in Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter.
Insofern handelt es sich um kein neues Phänomen. Es steht in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Amtsantritt von Donald Trump. Davon unbenommen ist, ob sich diese Entwicklung unter Trump noch beschleunigen wird.
Daraus einige Passagen:
Wir haben keine Veranlassung, Amerika zu beneiden. Frankreich ist in dieser Hinsicht fast genau so weit fortgeschritten. Es sind seltsame „Demokratien“, diese politischen Systeme, in denen sich elitäres Denken und Populismus gegenüberstehen, in denen das allgemeine Wahlrecht gilt, aber die rechten und die linken Eliten gemeinsam jegliche Neuorientierung der Wirtschaftspolitik blockieren, die eine Verringerung der Ungleichheit bewirken würde. Es ist eine verrückte Welt, in der vor der Wahl Titanenkämpfe geführt werden und nach der Wahl alles beim alten bleibt. Das Einvernehmen innerhalb der Eliten, so etwas wie ein höheres Gesetz, verbietet, dass das bestehende politische System sich auflöst, selbst wenn der Ausgang der allgemeinen Wahlen auf eine Krise hindeutet.
Hauptthese:
Ich werde in dem vorliegenden Essay ein in seiner Form paradoxes Erklärungsmodell entwickeln, dessen Kern sich ganz kurz zusammenfassen lässt: In dem Augenblick, da die Welt die Demokratie entdeckt und feststellt, dass sie politisch auf Amerika verzichten kann, verliert Amerika nach und nach seine demokratischen Züge und stellt fest, dass es ökonomisch auf die Welt nicht verzichten kann.
Die Welt steht damit vor einer doppelten Umkehrung der Verhältnisse: Die wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Vereinigten Staaten und anderen Ländern kehren sich um, und die Dynamik der demokratischen Entwicklung kehrt sich um, in Eurasien erleben wir einen Zuwachs von Demokratie, in Amerika einen Rückgang.
Vor dem Hintergrund dieser schwerwiegenden Veränderungen ist nachzuvollziehen, warum manche Handlungen Amerikas so unverständlich erscheinen. Den Vereinigten Staaten ist nicht mehr daran gelegen, die liberaldemokratische Ordnung zu verteidigen, denn in Amerika selbst verliert sie immer mehr von ihrer Substanz. Vorrangiges Anliegen ist nun die Versorgung mit verschiedenen Gütern und Kapital: Das fundamentale strategische Ziel der Vereinigten Staaten ist die weltweite politische Kontrolle über die Ressourcen des Planten.
Jedoch können die Vereinigten Staaten wegen ihres ökonomischen, militärischen und ideologischen Machtverlustes die Welt, die zu groß geworden ist, zu bevölkerungsreich, zu gebildet, zu demokratisch, nicht mehr so effektiv lenken wie in der Vergangenheit. ..
Amerika muss zumindest symbolisch im Zentrum der Welt bleiben, und darum muss es seine Macht, .., demonstrieren. Wir werden Zeugen, wie ein theatralischer Militarismus entsteht, der drei wesentliche Merkmale aufweist:
- Ein Problem wird nie endgültig gelöst, denn so kann die „einzige Supermacht“, die auf der Welt verblieben ist, beliebige militärische Aktionen rechtfertigen.
- Man konzentriert sich auf Kleinstmächte – Irak, Iran, Nordkorea, Kuba usw. Der einige Weg, politisch im Zentrum der Welt zu bleiben, besteht darin, kleinen Akteuren „entgegenzutreten“. Das stärkt die Macht Amerikas und verhindert und verzögert zumindest bei den großen Mächten die Erkenntnis, dass sie aufgerufen sind, die Weltherrschaft mit den USA zu teilen: Das gilt mitttelfristig für Europa, Japan und Russland und längerfristig für China.
- Es werden neue Waffen entwickelt, die den Vereinigten Staaten einen großen „Vorsprung“ im Rüstungswettlauf geben, der niemals aufhören darf.
Diese Strategie macht aus Amerika ohne Zweifel ein neues und unerwartetes Hindernis für den Frieden in der Welt, aber sie hat noch keine bedrohlichen Ausmaße erreicht. Wieviele und welche Staaten ins Visier Amerikas geraten, hängt von seiner objektiven Macht ab, allenfalls ist Amerika in der Lage, den Irak, Iran, Nordkorea oder Kuba anzugreifen. Es gibt keinen Grund, die Nerven zu verlieren und sorgenvoll davon zu sprechen, dass ein amerikanisches Imperium im Entstehen begriffen sei, denn in Wahrheit befindet es sich ein Jahrzehnt nach dem Zerfall des sowjetischen Imperiums im Niedergang.
Eine solche Sicht auf die Kräfteverhältnisse weltweit führt natürlich zu einigen strategischen Folgerungen, nicht mit dem Ziel, die Gewinne dieses oder jenes Landes zu vergrößern, sondern mit dem Ziel, den Niedergang Amerikas im Interesse aller so gut wie möglich zu meistern.
Alles in allem: Auch gut fünfzehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung regt das Buch zum Nachdenken an.