Von Ralf Keuper

Bisher haben sich nur wenige Bücher mit dem Einfluss der Hand auf die geistige Entwicklung des Menschen beschäftigt. Eine dieser Ausnahmen ist Die Hand. Werkzeug des Geistes.

In dem Beitrag Hand und Hirn schreibt Martin Weinmann:

Die Steuerprogramme der Hand stehen in der Hierarchie motorischer Verantwortlichkeiten weit oben und sind die Strukturen, die sich mit am weitesten von den archaischen Wurzeln der Bewegungssteuerung weg entwickelt haben.

Am Beispiel der Primaten beschreibt Weinmann den Funktionswandel der Hand mit seinen Auswirkungen auf das Gehirn:

Die Handentwicklung bei Primaten mag ein Beispiel dafür sein, wie neue anatomische Strukturen den personalen Raum plötzlich in einer Weise verändern, dass auch Perspektiven für einen Wandel der Funktion des Organs und damit die Notwendigkeit der Entstehung neuer neuronaler Steuerungsmechanismen entstehen. .. Die Fähigkeit einer einfachen Opposition von Daumen und Zeigefinger tritt erst bei den uns relativ nah verwandten Altweltaffen auf. Die Vielzahl von unterschiedlichen Handstellungen der Gebärdensprache wären den Affen nicht möglich. Neue Funktionen entstanden erst im Zusammenspiel von anatomischen Veränderungen der Hand und dem Umbau des neuronalen Steuerungsapparates. Dabei taucht das Problem des qualitativen Sprungs auf. Mitten in einer Funktionsumwandlung (zum Beispiel von der Laufhand zur Greifhand) gibt es meist eine Phase, in der ein Organ mehrere unterschiedliche Funktionen erfüllt. Gerade in diesen Übergangszeiten wird auf die Organe ein enormer Selektionsdruck ausgeübt. Der Gang des Schimpansen auf den Handknöcheln zeigt, dass sich Arm und Hand hier schon weit von ihrer früheren Funktion als Instrument der Fortbewegung entfernt haben. Solche Entwicklungen vollzogen sich auch im Gehirn. Ebenso wie die Hand des Schimpansen zum Vielzweckorgan wurde, mag die Evolution der Fähigkeit zur Planung komplexer motorischer Sequenzen einen Funktionsraum geschaffen haben, in dem diese neuen Fähigkeiten plötzlich auch in einem anderen Kontext der Motorik genutzt werden konnten.

Damit die Hand ein Vielzweckorgan werden konnte, musste sich zunächst der Greiffuß zu einem Lauffuß entwickeln. Dadurch wurden die Hände nicht mehr zur Fortbewegung benötigt und standen für andere Tätigkeiten, wie z.B. für die Herstellung von Werkzeugen, zur Verfügung. Infolgedessen nahm das Hirnvolumen deutlich zu, wie Richard Michaelis in seinem Beitrag Vom Greifen zum Begreifen? hervorhebt:

Das Hirnvolumen vergrößerte sich demnach erst nach diesem evolutionären Schritt und in enger Korrelation mit dem zunehmend präziseren Gebrauch der Hände und Arme, die jetzt nicht mehr zum Abstützen während der Fortbewegung auf dem Boden nicht mehr als Greif- und Klammerwerkzeuge beim Leben auf Bäumen eingesetzt werden mussten. .. Zunehmend dienten die Hände nun aber auch zum Werfen von Steinen und angespitzten Stäben während der Jagd und zum Herstellen von Werkzeugen, die zum Schaben, Schlagen, Klopfen und Schnitzen gebraucht wurden. Der immer geschicktere Gebrauch der Arme und Hände erforderte sehr rasche und sehr präzise ballistische und repetitive Bewegungsabläufe der Arme und Hände, die nur durch zunehmend komplexere neuronale Strukturen in Gehirn und Rückemark ermöglicht und gesteuert werden können.

Obwohl der Gebrauch von Armen und Händen für die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von großer Bedeutung ist, folgt daraus nicht, dass Menschen, die wegen einer Behinderung ihre Hände nicht nutzen können, geistig zurückbleiben müssen:

Unter körperbehinderten Menschen, die von Beginn ihres Lebens an ganz oder nahezu vollständig auf ihre Hände zur Gestaltung ihres Lebens an ganz oder nahezu vollständig auf ihre Hände zur Gestaltung ihres Lebens verzichten müssen, finden sich viele Kinder, Frauen und Männer, deren kognitive Fähigkeiten denen von Gesunden in nichts nachstehen. Der scheinbar direkte Bezug zwischen “Greifen” und “Begreifen”, wie es die deutsche Sprache nahelegt, kann also keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Für ihn lassen sich bisher auch keine neurobiologischen und neuropsychologischen Bestätigungen finden, wie überhaupt wenig darüber bekannt ist, welche Konditionen für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten obligatorisch, fakultativ oder eher zu vernachlässigen sind.

Die Evolution hat scheinbar Vorsorge für den Fall getroffen, dass es bei der Entwicklung heranwachsender Kleinkinder zu einem Ausfall wichtiger Funktionen des sensomotorischen Systems kommt. Michaelis bezeichnet dies als evolutionäre Strategie der Diversifizierung:

Mit der evolutionären Strategie der Diversifizierung der Entwicklung auf bestimmte Entwicklungsschienen wird gleichzeitig die Gefahr reduziert, die bei hierarchischen Systemen grundsätzlich besteht, dass eine Schädigung oder Störung zentraler Strukturen sofort den gesamten Entwicklungsverlauf aushebelt oder lahmlegt. Parallele Entwicklungswege, die intakt geblieben sind, ermöglichen dann immer noch eine funktionelle Kompensation, die ebenfalls im Sinne einer ontogenetischen, individuellen Adaption gedeutet werden kann.

Seit einiger Zeit wird die Frage kontrovers diskutiert, welche Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten der Gebrauch digitaler Medien hat. So ist, nach Aussage von Gerald Hüther, der für die Regulation der Daumenbewegung zustände sensomotorische Kortex im Gehirn bei den heute 15jährigen durch die Bedienung der Tastaturen, wie beim Schreieben von SMS-Nachrichten, doppelt so groß. Gestützt wird diese Aussage durch eine Studie der Universität Zürich, wonach die Daumenfertigkeit auf dem Smartphone unser Gehirn verändert.

Ein Gedanke zu „Die Hand. Werkzeug des Geistes“

Schreibe einen Kommentar