Von Ralf Keuper

Wohin man auch blickt: Überall Systeme. Soziale Sicherungssysteme, Rechtssysteme, Währungssysteme, Gesundheitssysteme, Waffensysteme, Computersysteme, Wahlsysteme, Politische Systeme, Gesellschaftssysteme – und da das anscheinend noch nicht genügt, gibt es jetzt auch noch die Systemrelevanz. Große Banken sind ebenso systemrelevant wie Parteien, das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist sogar Garant des demokratischen Systems. 
Der Blick scheint, getreu nach dem Motto: Für einen Hammer besteht die Welt aus lauter Nägeln,  systembedingt, eingeengt. 

Politik kann demnach eigentlich nur noch systemkonform sein, ebenso wie die Bürger. Was nicht der Norm des Systems entspricht, hat keine Chance wahrgenommen, geschweigedenn ernst genommen zu werden. Statik statt Dynamik. 

Hegels philosophisches System sah ja wenigstens noch den Gegensatz von These und Antithese vor, um daraus zu einer Synthese zu kommen. 

Der Schritt von Systemdenkern zu Selberdenkern (Karl-Heinz Bohrer) will irgendwie nicht gelingen. Aus dem System gibt es scheinbar kein Entkommen. Dabei ist es nötig, die Grenzen des Systems hin und wieder zu überschreiten, um zu neuen Einsichten zu gelangen – so jedenfalls die Auffassung von Glenn Gould oder auch die seines Namensvetters Stephen Jay Gould.  

Der politisch engagierte Schriftsteller und Philosoph Éduard Glissant empfahl gegenüber den Verlockungen des Systems das archipelische Denken.

Dem archipelischen Denken zumindest in dieser Hinsicht nahe verwandt, ist der Kritische Rationalismus von Karl Popper, dessen Konzept der Offenen Gesellschaft sich nur schwer mit einem systemkonformen Denken vereinbaren lässt. 

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