Von Ralf Keuper

Mit dem Zustand der SPD beschäftigen sich momentan ganze Heerscharen von Journalisten und Politikwissenschaftler. Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen ragt für mich der Beitrag Vorwärts und nicht vergessen des Politikwissenschaftlers Franz Walter in der FAZ vom 2.01.18 heraus.

Auszüge aus seine Diagnose:

1998 waren die Sozialdemokraten mit der Parole angetreten, die “Gerechtigkeitslücke” zu schließen. Nach sechs Jahren sozialdemokratischer Regierungsführung haben nahezu drei Viertel der Bevölkerung kund, dass die “Gerechtigkeiteslücke” während der Schröder-Fischer-Jahre nicht kleiner geworden, sondern weiter gewachsen sei. …

Diejenigen, die mit den geringsten Ressourcen ausgestattet sind, können am wenigsten intakter Vertrauensverhältnisse entbehren. Wird ihr Vertrauen missbraucht, stehen sie gänzlich entkleidet da. Sie besitzen keine oder nur wenige materielle und psychische Reserven, um den Verlust noch auszugleichen. Daher war die Verbitterung über die SPD bei ihnen am größten.

Die alte Sozialdemokratie hat das aus eigener biografischer Betroffenheit ihrer Akteure gewusst und nach diesem Erfahrungsmaßstab politisch gehandelt. Die seit den 1990er Jahren dominierenden Sozialdemokraten feierten stattdessen in der rot-grünen Regierungszeit die Entsicherung und Entgrenzung schutzversprechender Strukturen als befreiende Modernität, die den Wohlstand der Nationen mehren werde. …

Einst hatten Sozialdemokraten, wenngleich zweifelsohne dem Fortschritt programmatisch zugetan, noch über die lebensgeschichtlich gesättigte Erfahrung verfügt, dass Progessivität auch Substanz und Ligaturen vertilgt. Sie wussten auch, dass Fortschritt den einen Vorzüge bringt, den anderen aber Nachteile beschert. Warum also sollten nun diejenigen, die mit der Optionsvirtuosität des oberen Drittels nicht überreich gesegnet waren, Freude oder Begeisterung empfinden? Weshalb sollten sie Schutz und Sicherheit als gering erachten, ihren Bedarf an haltgebenden Organisationen und Institutionen gar als verächtlich, als vorgestrig denunziert sehen wollen? …

Die Sozialdemokratie wird eine von mehreren Parteien irgendwo in der weit gestreuten Mitte der Republik sein, nunmher ohne Ethos und die historische Aura von ehedem, aber eine Interessenpartei gemäßigt sozial, moderat kosmopolitisch, gebremst ökologisch, behutsam partizipatorisch eingestellter Bürger. Eine besondere historische Mission kann sie nicht mehr reklamieren. Um nicht vollends zu trivialisieren, muss sie mehr denn je strahlungskräftige Ideen hervorbringen. Vielleicht zum Trost: Dergleichen gelingt mitunter in kleineren Formationen besser als in Großorganisationen.

Weitere Informationen:

Vorwärts oder abwärts? – Zur Transformation der Sozialdemokratie

Einige Anmerkungen zur SPD

Franz Walter im Interview“Die SPD wird nie wieder Volkspartei”

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