Wenn das Verhältnis zur Arbeit in Deutschland anders ist, so liegt das auch ein wenig daran, dass die Glückswelt an einen einigermaßen überschaubaren Wirtschaftsertrag gebunden ist, mit dem der Deutsche nicht rechnen kann. Hochgradige Konjunkturempfindlichkeit und die Last unlösbarer oder hinausgeschobener sozialer Probleme begünstigen kaum die Entwicklung eines Ideals der friedlichen und selbstgenügsamen Muße. Aber diese heiklen Zeitumstände verstärken lediglich eine vorhandene Anlage. Der Deutsche gibt der menschlichen Arbeit einen absoluten Sinn, er ist imstande sie um ihrer selbst willen zu verrichten. Der Wille zum Glück ist eben bei uns schwächer entwickelt als bei solchen Völkern, in deren Leben die Person noch die unerschüttert zentrale Rolle spielt. Muße oder gar Nichtstun und bloße Betrachtung sind bei uns nicht angesehen, sie sprechen unsere Phantasie nicht an. Wir halten es für sittlicher, uns unter den dauernden Druck der Pflicht zu setzen und selbst den Feierabend mit einem leise nagenden Gewissen hinzubringen. Darum werden auch alle Formen der Freizeit und Erholung nirgendwo so schnell zu straff organisierten Massenveranstaltungen wie bei uns.
Quelle: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene von Friedrich Sieburg