Von Ralf Keuper
Der Niedergang, den die Stadt Detroit in den vergangenen Jahren durchlaufen musste, ist für zahlreiche Beobachter ein Symbol für den Bedeutungsschwund der Industrienation USA. Zu ihren Glanzzeiten die Welthauptstadt der Automobilindustrie, in den Mauern der Stadt residierten die “Großen Drei” – GM, Ford und Chrysler – , glich Detroit noch vor wenigen Jahren einem Mahnmal, einem Relikt aus der Blütezeit des Industriekapitalismus. 
Besucher verließen die Stadt nicht selten mit zwiespältigen Gefühlen, wie Katja Kullmann, die ihre Eindrücke in ihrem Buch Rasende Ruinen – Wie Detroit sich neu erfindet festhielt. Die Stadt, in der einst Henry Ford und Alfred P. Sloan internationale Wirtschaftsgeschichte schrieben, und die das Rückgrat der amerikanischen Wirtschaft war, ist eifrig dabei, ihr Gesicht zu wandeln. Kaum eine Person verkörpert diesen Transformationsprozess so sehr wie der Mulit-Milliardär und gebürtige Detroiter, Dan Gilbert
Gilbert ist in den USA u.a. als Gründer des Finanzdienstleisters Quicken Loans bekannt geworden. In den letzten Jahren hat Gilbert ganze Häuserblocks aufgekauft, renoviert oder neu bebaut. Mehr als eine Milliarde Dollar hat Gilbert bereits in der Stadt investiert. Vor einiger Zeit beschloss er, die Zentrale seines Unternehmens aus der Vorstadt in die Innenstadt von Detroit zu verlegen. 
Inzwischen hat es Gilbert geschafft, dass die Stadt unter den sog. Millenial Workers als hip wahrgenommen wird. Für die Stadt sprechen nicht zuletzt auch die vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten. Der Unternehmer Gilbert profitiert davon insofern, als er deutlich geringere Gehälter zahlen muss, als anderswo, wie beispielsweise im Silicon Valley oder in New York. Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter fällt wegen der hohen Reallöhne und des hippen Image der Stadt ebenfalls leichter. 
Gilberts Engagement ist daher nicht nur von Heimatliebe getrieben, sondern mindestens im selben Umfang von betriebswirtschaftlichem Kalkül, was nicht verwerflich ist. Viele der Gebäude erwarb Gilbert zu günstigen Preisen. Sollte die Wiedergeburt der Stadt anhalten, so winken Gilbert auch hier große Gewinne – jedenfalls auf dem Papier. 
Gilbert gelinge es außerdem, so Joann Muller in ihrem Beitrag Gilbertville: A Billionaire’s Drive To Rebuild The Motor Cityseinen Mitarbeitern das Gefühl zu vermitteln, Pioniere beim Wiederaufbau der Stadt Detroit zu sein. Also in gewisser Weise die regionale Neuauflage des “American Dream”. Mittlerweile arbeiten wieder 85.000 Menschen in der Downtown, verglichen mit 78.000 im Jahr 2010. Für 2016 rechnet das Southeast Michigan Council of Governments mit 100.000.
Ob Detroit in Zukunft eine lebens- und liebenswerte Stadt, ähnlich wie Seattle, sein wird, ist trotz der enormen Bemühungen, womit nicht nur die von Gilbert gemeint sind, noch nicht ausgemacht. 
Ähnlich wie Ewald Engelen, Sukhdev Johal, Angelo Salento und Karel Williams in ihrem Manifest der “Grounded City” argumentieren Julian Agyeman und Duncan McLaren mit ihrem Modell der “Sharing Cities”. Obwohl der Verdacht nahe liegt, propagieren die Autoren keine Uberisierung der Städte. Vielmehr möchten sie erreichen, dass die Städte ihr soziales Kapital, z.B. durch mehr solidarisches Handeln und kostengünstige Infrastrukturen, stärken. Die Fixierung auf neue, digitale Technologien und eine Elite aus Designern, Beratern, Startup-Unternehmern und Investoren, wie in London, führe dagegen zur Bildung von Inseln innerhalb der Städte, deren Bewohner oft keinen Bezug mehr zu ihrem näheren Umfeld haben und sich folglich auch nicht dafür engagieren.

Gut möglich, dass der Pioniergeist in Detroit, so er denn existiert, dieser Entwicklung entgegen läuft und unter den Einwohnern ein Zusammengehörigkeitsgefühl schafft. Wer weiss: Vielleicht kann Detroit anderen Städten einmal als Vorbild dienen. 

Nachtrag:

Über twitter warf Die_Kehrseite ein, dass die Probleme der Stadt Detroit auch auf den Speckgürtel, u.a. bestehend aus den wohlhabenden Vororten Dearborn, Rochester Hills und Bloomfield, zurückgeführt werden können. Diese würden die Infrastruktur der Innenstadt von Detroit nutzen, ohne sich jedoch an den Kosten für die Infrastruktur zu beteiligen. Ein wichtiger Punkt, der auch meiner Ansicht nach, häufig und gerne übersehen wird – nicht nur in den USA. 

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